Wetterleuchten in Peking

■ China: Rehabilitierung der Demokratiebewegung?

Eins ist sicher: Auf eigene Rechnung hat der Dramatiker Wu Zuguang nicht den Vorstoß gewagt, der gleichzeitig Deng Xiaoping wegen des Massakers auf dem Tiananmen 1989 reinwaschen und die chinesische Demokratiebewegung rehablitieren will. Wu wiederholte auf einer Sitzung der Politischen Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes seine schon 1996 geäußerte These. Deng sei über den Charakter der Demokratiebewegung falsch informiert worden. Nicht konterrevolutionären Umsturz hätten die Studenten im Sinn gehabt, sondern Kampf gegen die Korruption. Deng irrte sich, er war nur Werkzeug. Pech für die Ermordeten. Der Falschinformant sei Chen Xitong gewesen, Parteichef von Peking und nach dem Frühjahr 1989 Mitglied des Politbüros. Praktischerweise ist Chen bereits entmachtet – wegen Korruption. Aber neben dem genannten Übeltäter ist ein zweiter, ungenannter, gemeint – der amtierende Ministerpräsident Li Peng. Lis Amtszeit läuft ab, und es gibt Pläne, diesen notorischen Einpeitscher einer harten Linie gegenüber den demokratischen Studenten auf den Posten eines stellvertretenden Parteivorsitzenden abzuschieben und kaltzustellen.

Westliche Chinaexperten, die sich vom „Death-Watch“ Dengs wieder der Zukunft zugewandt haben, stimmen in folgendem überein: Jede Wendung der chinesischen Politik vom Durchwurschteln zu einem neuen Reformschub setzt eine historische Neubewertung der Demokratiebewegung von 1989 voraus. Eben diesem Ziel dient der Vorstoß des Dramatikers Wu.

Wer deckt Wu den Rücken? Entweder Parteichef Jiang Zemin höchstselbst, der als Schanghaier Parteigewaltiger 1989 ums Blutvergießen herumgekommen ist und der sich der Bürde des Tiananmen-Massakers entledigen will. Oder/und die Anhänger des alten Partei- und Staatschefs Zhao Ziang, der mit der Demokratiebewegung sympathisierte und nach deren Niederschlagung gestürzt wurde. Der 79jährigen Ruheständler, der die Öffentlichkeit meidet und dem Golfspiel frönt, wird kaum ins Zentrum der Macht zurückkehren. Aber er hat viele Freunde im Partei- und Staatsapparat.

Nach dem Tod Dengs war eine Latenzzeit von zwei Jahren prognostiziert worden. Noch ein Irrtum? Christian Semler

Bericht Seite 8