Grau in grau

■ Ohne HSV-Torwart Richard Golz wäre das Derby noch langweiliger gewesen, als es beim 2:2 eh schon war

An diesem trüben Freitagabend hatten rund 25000 Anhänger des FC St. Pauli den Weg ins ungeliebte Volksparkstadion gefunden, welches sich seinen Besuchern nebelverhangen und grau in grau präsentierte. Farbliche Akzente setzten beim 125. Lokalderby lediglich Leuchtraketen und bengalische Feuer, die eine fast unheimliche Atmosphäre schufen und für noch schlechtere Sichtverhältnisse sorgten.

Präsident Heinz Weisener, Trainer Uli Maslo und die FC-Anhänger mußten mit ansehen, wie ihre Mannschaft der Umgebung angepaßt ziemlich trostlos spielte und auch nach dem schnellen Führungstreffer des HSV weiter völlig ideenlos und wenig zwingend agierte. Selbst eine zahlenmäßige Überlegenheit – eine Rothose, diesmal war es Andreas Fischer, hatte sich wie schon üblich vorzeitig per Platzverweis verabschiedet – brachte nichts.

Die Stimmung paßte sich dem Spielniveau an, und als gelte es, sorgfältig darauf zu achten, jegliches Amüsement zu verhindern, langweilte man die knapp 40.000 Zuschauer mit einer Pausengestaltung, deren Höhepunkt ein Autokorso ums Spielfeld darstellte.

Vom Abstiegskandidaten FC St. Pauli und dem krisenumflorten HSV wurde überzeugender Einsatz erwartet. Doch wenn das Spiel nicht Ende der zweiten Halbzeit eine überraschende Wendung erfahren hätte, wären sicherlich braun-weiße Anhänger („Euch Uwe klaut“) enttäuscht und desillusioniert nach Hause gefahren.

Dramatik kam erst ins Spiel, als Nikolai Pisarew den Anschlußtreffer erzielte (80.), und Sven Kmetsch vier Minuten später mit einem 25-Meter-Schuß die kurze Freude zunichte machte. Alles schien gelaufen, bis sich Richard Golz einen der größten Schnitzer seiner Karriere leistete: Beim Abschlag kickte der Keeper das Spielgerät Pisarew direkt vor die Füße. Ein Querpaß, und Jens Scharping schoß das 2:2. Der Bruchteil einer Sekunde hatte genügt, Trübsal in überschwengliche Freude zu verwandeln. Ausgelassen feierten die St.-Pauli-Fans den Ausgleich.

Ähnlich beduselt fielen anschließend die Kommentare der FC-Führungskräfte aus. „Ich bin stolz auf die Jungs“, gab Präsident Heinz Weisener pflichtgemäß zu Protokoll, ehe er recht keck hinzufügte, er glaube, „daß wir mit dem Abstieg nichts mehr zu tun haben werden.“Schön für den Boß, und noch angenehmer, daß auch Übungsleiter Maslo ausnahmsweise einmal einer Meinung mit dem Obersten war: „Das war die Wende.“

Dem schloß sich Kollege Felix Magath vorbehaltlos an. „Wenn wir so weitermachen, ist mir um die Zukunft nicht bange. Die Mannschaft hat zur Ruhe zurückgefunden.“Seinen Torwart meinte Magath damit jedoch nicht: „Der Richard hat ein Herz für St. Pauli“, hoffte der Coach, daß Herr Golz nicht so bald wieder seine soziale Ader ausgerechnet auf dem Fußballplatz auslebt.

Der Mannschaftsführer war derweil noch immer nicht in der Lage, das Geschehene irgendwie zu bewerten: „Völlige Leere“, sagte der Fast-Zwei-Meter-Mann, den die Sport-Bild vor nicht allzu langer Zeit zum Bundesliga-Torwart mit dem höchsten Sicherheitsrisiko bei Abschlägen gekürt hatte. Die Wahl war anscheinend richtig. Schon vor der fatalen Szene hatte Golz zwei-, dreimal den Ball völlig unbedrängt in die Walachei befördert.

Doch Richie war nicht der einzige Querschläger an diesem Abend, und der Golz-GAU somit eigentlich der würdige Abschluß für ein Derby, das nicht nur von der Zuschauerzahl her eines der weniger peppigen war.

Zyniker würden an dieser Stelle vermutlich Trost sprechen und darauf hinweisen, daß es für die nähere Zukunft das letzte gewesen sein dürfte – zumindest in der ersten Liga. as/cleg