Rhythmus in graphischen Klanggebilden

■ Der chinesische Schriftsteller Duo Duo sprach in Hamburg über Lyrik und Exil

Einige Orte dieser Welt bieten sich allein schon über ihren Namen als Exilorte an: die niederländische Stadt Leiden zum Beispiel. In Leiden lebt der Chinese Duo Duo, einer der Hauptvertreter der menglong-Lyrik, der für ihre „bürgerliche Dekadenz“schwer kritisierten „obskuren Lyrik“der 80er Jahre.

Duo Duos Exil begann genau am 4. Juni 1989. Mit einem Flugticket zu einer Lesung in London in der Tasche überlebte er das Massaker an den Demonstrierenden auf dem Tiananmenplatz in Peking. Am nächsten Abend fand er sich in London als Exilant wieder. Nach einer jahrelangen Odyssee ohne Ithaka landete er in Leiden. Und manchmal, zu Lesungen, kommt er auch nach Hamburg. So auch letzte Woche zu zwei von Rolf Eigenwald und Carsten Krause organisierten Abenden im Rahmen des Literarischen Cafés des Christianeums und der Literatur im Nedderfeld.

Duo Duos Lesegestus ist bezaubernd: Durch Beschleunigungen und Verlangsamungen bis in einzelne Silben hinein rhythmisiert er seine Zeilen zu nahezu graphisch anmutenden Klanggebirgen. Auf diese extreme Stilisierung angesprochen, verweist Duo Duo auf den Schreibprozeß. Es sei keinesfalls so, daß der Text stumm auf dem Papier erschiene, um hinterher, sozusagen als Marginalie, mit dirigierenden Sprechanweisungen umgeben zu werden. Erst die rhythmische Idee ermögliche bestimmte Assoziationen. Sprache sei eben nicht bloßes Mittel der Widerspiegelung der Wirklichkeit, sondern selber „Material“, dessen bildhauerische Bearbeitung Bedeutung erst schaffe.

Und genau an diesem Punkt des Gesprächs zeigen sich Spaß und Qual einer Unterhaltung mit Duo Duo: Anstatt brav beim Thema zu bleiben, umzirkelt er die Frage auf der Suche nach dem Gebiet der größten Intensität. „Das eigentliche Problem ist doch, daß so viele junge Schriftsteller das rhythmische Potential des Chinesischen mißachten.“Die Ereiferung schlägt haushohe Wellen: „Dieser Verlust des Bewußtseins für den Rhythmus ist der Verlust des Bewußtseins für die eigene Vergangenheit.“Ist die menglong-Lyrik an dieser Entwicklung wirklich gänzlich unschuldig?

Ihre Radikalität, so Duo Duo erbost, habe die Effekte der Kulturrevolution (1966-76) als kulturelles Vakuum bezeichnen und niemals die Wirkmächtigkeit der Tradition als Ganze in Frage stellen wollen. Vielmehr ziele die menglong-Lyrik darauf, das chinesische Gedicht mit Rückbezug auf die klassische Lyrik zu „modernisieren“. So lasse sich auch sein Gedicht „Schriftzeichen“lesen: „Sie sind ihr eigener Herr/Rotten sich zusammen/Entgegen ihrer eigentlichen Bedeutung.“Anders und noch einmal: Wie die „obskure Lyrik“existiere auch der Exilierte im Dazwischen: Das Exil sei das „Überleben im Spalt zwischen den Kulturen“. Weiteres sage er nur noch bei starken Alkoholika. Diesen „Sauren“würde er ja gerne probieren. Meinetwegen gern.

Matthias Anton