Wochen-Post
: Die Untoten im Reformstau

■ Protestierende Bergarbeiter, kämpfende Bauarbeiter und Steffen Reiche

Berlin ist die Stadt der Evidenzen, aber das macht die Sache eher noch ungemütlicher. Denn offenkundig werden eben nicht die Lösungen, sondern nur die Vertracktheiten. „Die Baustelle“, wie Berlin in einer Mischung aus Bewunderung und Verachtung genannt wird, floriert, doch die Bauarbeiter darben.

Jedenfalls die, die gute Löhne verdienen wollen, weil sie Westpreise für Miete, Gehacktes und Kleidung zahlen müssen. Die Portugiesen, Polen und Engländer sind nur daheim, nicht aber auf der Baustelle Berlin arbeitslos. Seit sie der Arbeit hinterherreisen, fehlen den deutschen Maurern die Jobs, und sie stürmten das alte und künftig neue Parlament eines Landes, das so unbedingt europäisch sein muß wie kaum eines.

Protestierende deutsche Bauarbeiter hindern ihre europäischen Kollegen am Weiterarbeiten an der Reichstagsbaustelle, während die Regierung in Bonn einsieht, daß das mit der Streichung des Schlechtwettergelds vielleicht doch eine zu teure Idee war, und der Kanzler in einer keynesianischen Anwandlung doch Milliarden für den Bau lockermacht. Wie angenehm. Und wie unangemessen.

Schneller noch verscheuchten die Bergarbeiter die Evidenz, daß es so, wie es ist, nicht bleiben kann. Nach kurzem Rumrempeln fließen die Subventionen wieder. Viel Spaß beim Verknuspern! Danke, daß die große Steuerreform damit wieder dort ist, wo die Untoten der deutschen Politik sie haben wollen, im „Reformstau“. Das überschuldete Saarland kann weiterleben, weil Bonn Lafontaine für das Management des Reformstaus braucht.

Das reiche Nordrhein-Westfalen darf den Kohlenpott in aller Seelenruhe zum Industriemuseumspark ausbauen und die Filmindustrie subventionieren, weil Bonn Ruhe an Rhein und Ruhr braucht. So macht man das.

Und im Osten faseln die Westentaschen-Schumpeters von Strukturwandel und kreativer Zerstörung.

Von Berlin, Bischofferode und Horno aus sieht man mit Kulleraugen, wie hoch die Lebensdauer auch der überkommensten Institutionen ist, wenn sie nur das Glück haben, in der Nachbarschaft des Machtzentrums zu sitzen.

Wie treuherzig dagegen der politische Menschenschlag im Osten. Steffen Reiche, SPD-Landesvorsitzender in Brandenburg, kann die Lektion einfach nicht vergessen, die er vor einem Jahr vergeblich lehrte: Länderfusion wäre eine Lösung für vieles.

Ach, er muß noch viel lernen. Deutsche Politiker sind dann gut, wenn sie Mißstände weit über den Moment hinaus am Leben erhalten können, in dem sie als solche erkannt wurden und die Debatte über Auswege Weltniveau erreicht hat. Mechthild Küpper

wird fortgesetzt