„Arisiertes“ Geld auf französischen Bankkonten

■ Rund 300 Millionen Mark von durch die Nazis ermordeten jüdischen Kunden sollen noch immer bei verschiedenen Geldinstituten liegen – vielleicht noch mehr

Paris (taz) –Die Schweizer Bankiers waren nicht die einzigen: Auch französische Banken haben im vergangenen halben Jahrhundert mit Geld spekuliert, das einst Juden gehörte. Rund eine Milliarde heutige Franc (300 Millionen Mark) von ermordeten jüdischen Kunden befinden sich noch immer bei verschiedenen französischen Geldinstituten. Das schrieb gestern die Tageszeitung Le Monde. Entgegen einem Gesetz aus dem Jahr 1966 wurden diese eigentümerlosen Beträge nie in die Staatskasse transferiert.

Die geraubten Bankkonten sind ein neues Mosaikstück in der Aufarbeitung der französischen Kollaboration mit den Nazis. Seit Staatspräsident Jacques Chirac im Juli 1995 erstmals eine französische Mitschuld am Holocaust anerkannt hat, sind zahlreiche neue Elemente ans Tageslicht gekommen. Binnen vierzehn Tagen soll nun eine staatliche Untersuchungskommission die Arbeit aufnehmen und einen Überblick über das Ausmaß des Raubs verschaffen. Unter anderem wurde bislang bekannt, daß über 1.000 Kunstwerke, die ihren jüdischen Besitzern in Frankreich geraubt wurden, bis heute in staatlichen Museen sind, ohne daß diese nennenswerte Anstrengungen unternommen hätten, die rechtmäßigen Erben der Besitzer zu finden. Dann zeigte sich, daß der französische Staat und die Gemeinden Hunderte, wenn nicht Tausende von Immobilien benutzen und verkaufen, die „arisiert“ worden sind. Gleichzeitig mehren sich die Anzeichen für eine entschieden engere Kriegszusammenarbeit zwischen französischen und deutschen Industriellen, als sie bislang angenommen wurde. So zeigt eine letzte Woche erschienene Veröffentlichung der Historikerin Annie Lacroix-Riz, daß in der französischen Chemiefabrik Ugine das Gas Zyklon-B für den Export nach Deutschland produziert wurde.

Die jüdischen Bankkonten waren 1941 per Dekret auf Druck der deutschen Besatzer blockiert worden. In vorauseilendem Gehorsam hatte der Präsident der Französischen Bankunion, der zugleich Chef der Bank Société Générale war, schon fünf Tage zuvor ein Rundschreiben an die Geldinstitute geschickt, in dem er zu diesem Schritt aufforderte. Nach Kriegsende ist lediglich im Jahr 1951 eine unvollständige Bestandsaufnahme der beschlagnahmten Konten erfolgt. Nachdem sie ein knappes Viertel der 1941 „arisierten“ Konten untersucht hatte, mußte die Kommission wegen Geldmangel ihre Arbeit einstellen.

Der Historiker David Douvette, der über den Raub an der jüdischen Gemeinschaft forscht, hält die Zahl von einer Milliarde Franc für „reine Phantasie“. Exakte Zahlen könne man erst nennen, wenn die 50 Jahre lang verschlossenen Archive komplett ausgewertet seien. Dorothea Hahn