Europa greift ein – ohne Truppen

■ Albaniens Regierung soll mit einer Beratergruppe beim Wiederaufbau von Militär und Polizei geholfen werden. Friedensdemonstration in Tirana. In Durräs versuchen Tausende unter den Schüssen der Polizei den Hafen zu stürmen

Apeldoorn (AFP/taz) – Die Europäische Union wird keine Truppen nach Albanien entsenden. Statt dessen will sie der Regierung in Tirana die Hilfe einer Beratergruppe zum Wiederaufbau der Zivil-, Militär- und Polizeistrukturen anbieten. Das beschlossen die EU-Außenminister gestern in der niederländischen Stadt Apeldoorn. Die Europäer hätten damit die richtige Antwort auf eine Situation gefunden, die sich zu beruhigen scheine, erklärte Bundesaußenminister Klaus Kinkel.

In Tirana kontrollierten am Wochenende bewaffnete Freiwilligentrupps, die von der Regierung aufgestellt wurden, die Straßen. In der Innenstadt versammelten sich Tausende von Menschen, um der rund 150 Opfer des Aufstands zu gedenken. Schüsse, wie noch in den vergangenen Tagen, waren nicht mehr zu hören.

Während die Lage in Tirana entspannt schien, wurden in der Hafenstadt Durräs gestern nach Augenzeugenberichten mehrere Menschen getötet, als Polizisten in eine Menge von rund 4.000 Personen schossen, die versuchten, das Hafengelände zu stürmen. Die Menschen wollten offensichtlich auf Schiffe gelangen, die sie nach Italien bringen sollten.

Angesichts des bewaffneten Aufstands und der Implosion in Albanien waren die EU-Außenminister nach langem diplomatischem Hin und Her am Wochenende zusammengekommen, um über das Ausmaß eines Einsatzes in dem Balkanland zu entscheiden. Vor allem die südlichen EU- Staaten Italien und Griechenland wie auch die niederländische EU-Präsidentschaft und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hatten zu Beginn des zweitägigen Treffens für die Entsendung einer 3.000 bis 4.000 Mann starken Polizei- oder Militärtruppe plädiert. Doch davon blieb nicht viel übrig.

Dem gestrigen Beschluß zufolge soll den Beratergruppen eine Schutzeinheit an die Seite gestellt werden. Die europäische Mission habe nicht die Aufgabe, Einrichtungen oder humanitäre Aktionen zu schützen oder gar das Land zu befrieden, erklärte ein europäischer Diplomat.

Zur Vorbereitung der EU-Mission soll eine Expertengruppe der niederländischen EU-Präsidentschaft heute nach Tirana reisen, wie es in französischen Diplomatenkreisen hieß. Danach sollte sich zunächst die UNO mit der geplanten Beratermission befassen. Kinkel bezeichnete es als sicher, daß sich Deutschland am zivilen Teil der geplanten Mission angemessen beteiligen würde. Über den Umfang und die genauen Aufgaben der europäischen Berater will die EU nach der Rückkehr der Experten entscheiden. Wann die Berater und ihre Schutztruppe dann nach Albanien aufbrechen werden, darüber gab es zunächst keine Angaben.

Tagesthema Seite 3, Debatte Seite 10