Der Schiffer und seine Frau

Was heißt es, mit einem Seemann verheiratet zu sein? Die 63jährige Hildegard Morche erzählt aus ihrem Leben  ■ Von Judith Weber

Eigentlich müßte die Frau eine Bergliebhaberin sein. Müßte im Urlaub in den Alpen kraxeln und Wasser nur in der Badewanne akzeptieren. Jede Art von Meeres-Antipathie wäre verständlich, nachdem Hildegard Morche jahrelang fast nur Trauriges mit der See verband: 45 Jahre lang war sie mit einem Seemann verheiratet, hat am Hafen gestanden und Schiffen nachgewunken, mit denen er Richtung Afrika fuhr. An jeder Hand ein greinendes Kind. Lästernde Matrosen. Bloß nicht flennen.

„Geheult habe ich immer erst zu Hause“, erzählt die Hamburgerin. Darüber, mit einem Abwesenden verheiratet zu sein und drei Kinder allein großkriegen zu müssen. Und über die Vorurteile der Nachbarn. Die wollten in den fünfziger Jahren nichts zu tun haben mit einer Quasi-Alleinstehenden. „Eine Freundin, der ich alles erzählen konnte, hatte ich nie“, berichtet Hildegard Morche. Zugehört hat erst Morches jetziger Lebensgefährte, Jahre nach dem Tod ihres Mannes. Was die 63jährige ihm erzählt hat, haben die beiden aufgeschrieben: „Seemanns Braut ist die See“heißt ihr Buch, eine Ehe-Biographie von 1955 bis 1990.

Daß sie anfangs ohne Vollmacht ihres Mannes weder einen Mietvertrag unterschreiben noch Einschreibebriefe annehmen durfte, stachelte Morches Wut an, und den Ehrgeiz, „es allein zu schaffen.“Etwas anderes blieb Seemannsfrauen auch nicht übrig. Die Männer auf den Schiffen waren abgeschnitten vom Alltag und selbst per Funk selten erreichbar. Wenn doch, waren Gespräche teuer. Drei Minuten UKW-Gerede kosteten in den sechziger Jahren bis zu zehn Mark, außerdem konnte jeder andere Funker die Gespräche mithören.

Blieb nur die Post, und die dauerte Wochen. „Wenn ein Brief von mir an Bord ankam, fühlte ich mich schon ganz anders als an dem Tag, als ich ihn geschrieben habe“, erinnert sich Morche. Um das „zeitverzögerte Leben“zu beenden, hat ihr Mann mehrmals Landjobs angenommen – mit sinkender Begeisterung. Also fand Hildegard Morche sich mit seiner See-Leidenschaft ab. Renovierte Wohnungen allein, erzog die Kinder und arbeitete halbtags. Wütend war sie darüber selten, meistens dagegen stolz auf ihre Selbständigkeit. Was fehlte, war Freizeit: „Nur abends habe ich manchmal ein Kleid angezogen und allein vor dem Spiegel getanzt.“

Als ihr Mann pensioniert wurde, tobten beide ihren Nachholbedarf an Freizeit und Urlaub aus. Hildegard Morche machte ihren Führerschein, kaufte Fahrräder. Schön war's, aber gewöhnungsbedürftig. „Ich habe quasi mit einem Mann zwei Ehen geführt“, sagt sie heute. „Ich war es gewohnt, für mich allein zu entscheiden. Ihr Mann akzeptierte das – zu lange hatte er auf dem Schiff gelebt, um sich in Bank-, oder Mietfragen auszukennen. Und manchmal kamen ihm ihre Entscheidungen durchaus gelegen: Einige Jahre nach seiner Pensionierung kaufte Morche ein Boot und fuhr mit der Familie segeln.

Hildegard Morche: „Seemanns Braut ist die See“, Kabel Verlag, 180 Seiten, 29,80 Mark