„Bei uns wird alles russisch“

■ Moskauer Theater „Model“experimentiert auf eigenes Risiko / Heute Gastspiel im Bremer Theater Satyricon

Heute ist der russische Regisseur Anatolij Leduchowskij mit seinem zehnköpfigen Theaterensemble „Model“aus Moskau in Bremen zu Gast. Alle zehn SchauspielerInnen sind Schüler des russischen Regisseurs Semen Arkad-evisch Barkan, der seit drei Jahren in Bremen mit Studenten arbeitet. Heute abend zeigt „Model“das Stück „Heinrich IV“von Luigi Pirandello im Theater Satyricon. Wir sprachen mit dem Regisseur über Moskau, Bremen und seine Theaterarbeit.

taz: Sie sind vor allem nach Bremen gekommen, um ihren alten Theaterlehrer Barkan wiederzusehen und ihm das Stück zu zeigen?

Anatolij Leduchowskij: Ja, das war der eigentliche Grund. Aber wir erhoffen uns auch von dem Besuch, daß wir in Bremen Kontakte finden. Denn wir haben schon öfter versucht, das deutsche Publikum für uns zu interessieren. Wir waren auf Theaterfestivals in Loccum, in Potsdam, Hannover und jetzt sind wir eben in Bremen.

Was interessiert Sie an Deutschland?

Es gibt viele Gemeinsamkeiten zwischen dem deutschen und russischen Theater. Ich habe mal ein Gastspiel vom Bremer Theater, „Macbeth“von Shakespeare, in Moskau gesehen. Es war einer meiner stärksten Eindrücke, denn diese Aufführung war meiner Inszenierungsart sehr nah. Die Bremer hatten Stücke, die ganz ohne Text waren. Sie benutzen oft, vorbei an der traditionellen dramaturgischen Schauspielkunst, Pantomime sowie musikalische Elemente und japanisches Maskentheater. Das ist eine Art von Synthese, die wir auch verfolgen. Aber bei uns wird das alles russisch, weil wir alle die russische Schauspielschule durchlaufen haben. Denn wir sind Schüler von Barkan, und Barkan war Schüler von Stanislavski.

In ihrem Stück „Heinrich IV“wird auch viel mit optischen Eindrücken gearbeitet, Masken spielen ebenfalls eine Rolle. Hat Sie Macbeth inspiriert?

Vielleicht sind das vage Bilder oder Eindrücke, die mir im Kopf geblieben sind. Aber eigentlich steckt es in dem modernen Stück selbst drin, denn der Karneval bildet hier die Grundlage. Ein Mensch von heute verkleidet sich während einer Maskerade als Kaiser Heinrich IV, stürzt vom Pferd und wird ohnmächtig. Wenn er zu sich kommt, glaubt er, der echte Kaiser zu sein. Zwanzig Jahre lebt er so, aber dann entschließen sich Freunde, ihn zu heilen. In diesem Moment beginnt das Stück. Es stellt sich heraus, daß er sich mit Absicht verstellte, um der Welt zu entgehen. Und weil ihn seine Freunde dabei stören, bringt er sie um.

„Heinrich IV“haben Sie für das Theaterfestival „Premio Salvo Randone“1996 in Sizilien produziert. Ihr Stück wurde dort als beste ausländische Inszenierung gekrönt.

Nun, wir haben als Gruppe zum ersten Mal versucht, nicht zu machen, was wir wollen. Normalerweise führen wir in Rußland nicht das auf, was gefordert wird, sondern nur das, was uns gefällt. Dieses Stück haben wir nach 18 Proben und innerhalb von einem Monat auf die Bühne gebracht. In diese Termine mußten wir uns einfügen, weil wir damit auf die Theaterfestspiele in Sizilien wollten. Sie hatten das Stück bestellt, und deshalb mußte es so schnell gehen.

Ihr Lehrer Barkan hat oft davon geschwärmt, daß die Theater in Moskau immer voll sind und sich wiederholt gefragt, warum das in Deutschland nicht so ist.

Das stimmt, doch obwohl die Theater voll sind, gibt es nicht viele interessante Stücke zu sehen. Das ist traurig, wenn man bedenkt, daß es in der Stadt rund 300 Theater gibt. Das ist eher offizielles statt experimentelles Theater. Leider bekommen in Moskau weniger interessante Theaterbühnen staatliche Unterstützung und die Interessanteren nicht. Wir bekommen auch keine. Ich mache nichts anderes als Theater, aber viele meiner Schauspieler arbeiten nebenbei. Ich habe ein Künstlerstipendium bekommen, das von Jelzin aufgelegt wurde. Wir haben kein eigenes Haus, keine eigenen Proberäume. Wir inszenieren unsere Stücke immer von einem Festival zum nächsten. In der Zwischenzeit proben wir irgendwo, wo Platz ist – in anderen Häusern. Uns helfen eben Freunde in anderen Moskauer Theatern oder die Künstlergewerkschaft. Außerdem ist es für die traditionellen Theater gut, wenn wir in ihren Häusern spielen. Dadurch erhöhen sie ihr eigenes Ansehen. Aber im Vergleich zu Moskau fällt den Theatern in Deutschland, bei denen wir auf Festivals waren, das Leben eindeutig leichter. Fragen: kat

„Heinrich IV“ist heute abend um 20 Uhr im Theater Satyricon, Hankenstr. 24, in russischer Sprache zu sehen.