Die Graswurzelrevolution von rechts

Ein Netzwerk arbeitet an der Restauration des Nationalen. Mitten in der Grau- und Braunzone zwischen „Junger Freiheit“ und konservativen Denkzirkeln: Der Exökoaktivist Alfred Mechtersheimer  ■ Von Barbara Junge, Julia Naumann und Holger Stark

Dresden, ein Freitagabend im August vergangenen Jahres. Die Stühle in den „Trinkstuben“ des Ratskellers sind bis auf den letzten Platz besetzt. Geladen hat das „Dresdner Freitagsgespräch“, gekommen ist der bürgerliche Rechtsnachwuchs: junge Männer zwischen zwanzig und vierzig Jahre alt, eine Mischung aus bodenständig und bieder. Dieser Freitag ist ein besonders interessanter: Als Gastredner ist der ehemalige Grünen-Aktivist und jetzige Lautsprecher für die nationale Sache, Alfred Mechtersheimer, in die sächsische Hauptstadt gekommen. Mechtersheimer enttäuscht das Publikum nicht.

„Wir müssen uns gegen die immer weitergehende Demontage unseres Landes wehren“, agitiert der ehemalige Friedensaktivist, der noch in den 80er Jahren in der linken Ecke geortet wurde. Heute zieht der ehemalige Bundestagsabgeordnete der Grünen als nationaler Handlungsreisender durch die Bundesländer – im Dienst der nationalen Sache. Im Gepäck: der alte Traum einer neuen Rechtspartei. „Wir sind die nationale Elite“, ruft Mechtersheimer in den Dresdner Saal hinein und meint genau jene Mischung aus Lesern der Rechtspostille Junge Freiheit, Demonstranten gegen die Wehrmachtsausstellung und nationalliberalen Basisaktivisten, die seit einiger Zeit am rechten Aufbruch arbeiten.

Nicht nur Mechtersheimer, auch andere rechte Vordenker haben inzwischen eingesehen, daß der Weg zur national motivierten Gesellschaftsveränderung nicht über Kleinstparteien oder weitere – hoffnungslose – Parteigründungen verlaufen kann. Seit dem Mauerfall haben sich nicht nur konservative Pressure-groups in den bürgerlichen Parteien formiert – die Nationalliberalen in der FDP, das Christlich-Konservative Deutschlandforum bei der CDU —, sondern diverse Zirkel und Gruppen quer durch die Republik. Die Dimensionen sind beachtlich: Inzwischen gibt es in fast jeder größeren Stadt rechte Basisgruppen, die bei ihren Treffen zwischen 20 und 100 Interessierte versammeln. Allein im radikaleren Umfeld der Jungen Freiheit haben sich nach Informationen des Verfassungsschutzes von Nordrhein-Westfalen rund 15 solcher Zellen gebildet. Vorbild für die Zirkel ist eine rechte „Graswurzelrevolution“, eine konservative, mehr oder weniger strukturierte Basisbewegung.

Anfangs sammelte sich das Basisnetzwerk um die Junge Freiheit. Mittlerweile allerdings hat sich die Bewegung verselbständigt und von der Zeitung abgesetzt. Viele Treffen haben sich nicht nur über mehrere Jahre stabilisiert, sondern sind auch aus der rechten Schmuddelecke raus. Kreise wie das Berliner „Dienstagsgespräch“, der „Konservative Gesprächskreis Hannover“ oder eben das Dresdener „Freitagsgespräch“.

Da sei ein Gemisch entstanden aus alten und neuen Rechten, das Perspektive hat, so berichtete die Junge Freiheit über einen Vortrag von Heimo Schwilk. Der Welt am Sonntag-Redakteur arbeitet mit Büchern wie der „Selbstbewußten Nation“ und Manifesten wie dem revisionistischen Aufruf „Gegen das Vergessen“ zum 8. Mai 1995 am rechten Bewußtsein: „Gefördert werden kann die rechtskonservative Mobilisierung zunächst auch durch lose Gruppierungen und Gesprächskreise, die dann später zu Keimzellen für eine neue Partei werden könnten“, zitiert ihn die Junge Freiheit.

Das ist eine Perspektive, die mittlerweile auch dem nordrhein- westfälischen Verfassungsschutz Sorgen macht: „Ein Betätigungsfeld der extremistischen Neuen Rechten sind konspirativ und logenähnlich strukturierte Zirkel, zu denen Gleichgesinnte geladen werden. Hintergründe und Vernetzung werden sogar den Teilnehmern gegenüber verschleiert. Derartige Zirkel existieren einerseits im Umfeld von Zeitschriften wie Junge Freiheit oder Staatsbriefe, andererseits unabhängig davon.“ Diese Interpretation der Schlapphüte klingt ein wenig zu verschwörungstheoretisch und trifft nicht auf alle Kreise zu. Doch die Entwicklung ist tatsächlich heterogen: von seriösen, konservativen Runden bis hinein in das rechtsextremistische, gelegentlich auch neonazistische Lager.

Die Form ist neu, der Inhalt alt: Nationalistische Vorstöße sollen das ideelle Gesamtbewußtsein der Berliner Republik von morgen bestimmen. Die politisch-geistige Anknüpfung an die konservative Revolution der Weimarer Republik soll mit allen Elementen gelingen: völkische Geopolitik, nationalistische Gemeinschaftsideologie, Auschwitz nicht nur historisiert, sondern zu den Akten gelegt. Elitedenken, das sich gegen die Verurteilung der Wehrmachtssoldaten sträubt und dafür auch in Kauf nimmt, in die Nähe der neonazistischen Demonstranten gegen die Münchner Wehrmachtsausstellung zu geraten. Alfred Mechtersheimer geht dieses Risiko bewußt ein: „Wir wollen niemand ausgrenzen.“

An der Tür der Dresdner „Trinkstuben“ liest der Aufpasser zwischen dem Abhaken der Gästeliste immer wieder ein paar Zeilen aus Klaus Rainer Röhls „Linken Lebenslügen“. Röhl, Exherausgeber von Konkret und wie Mechtersheimer einst auf der Linken, wettert derzeit zumeist gegen seine eigene Vergangenheit und gegen die „Diktatur der political correctness“. „Wir begreifen uns als die 89er“, sagt Hans-Holger Malcomeß, einer der Dresdner Organisatoren, stolz. Das klingt wie auswendig gelernt aus den nationalen Lesefibeln „Wir 89er“ und „Selbstbewußte Nation“. „Die Sühne und das Schuldbewußtsein, die nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bonner Republik entstanden sind, sollten relativiert werden und die einseitige Fixierung der deutschen Geschichtsschreibung auf die Jahre 1933 bis 1945 aufgegeben werden.“

Die Teilnehmer der Dresdner Freitagsgespräche (rund 250 werden angeschrieben) rekrutieren sich aus einer Mischung von Jungkonservativen, Parteienvertretern von SPD bis „Republikaner“ und strammen Rechten. Sie sind durch die Anbindung an die Deutsche Soziale Union (DSU), die auch die Räume mietet, institutionell verankert und von der Stadtverwaltung toleriert. Ein lokales Bündnis von Vertretern etablierter Parteien, kleinen Splittergruppen und neurechten Vordenkern – so sieht die Mischung häufig aus.

Mechtersheimer fordert in den überfüllten „Trinkstuben“ lautstark „Gerechtigkeit“ für die Deutschen, die bosnischen Flüchtlinge „sollen bitte nach Hause gehen“. Nach jeder neuen Attacke applaudieren die Zuhörer dankbar. Es sind Galionsfiguren wie Mechtersheimer, die Abend für Abend predigen, wie sich diese Gesellschaft zu verändern habe. Politiker wie der einstige FDP- Mann und jetzige Chef des „Bundes Freier Bürger“, Manfred Brunner, oder sein großes Vorbild Jörg Haider versammeln viele Zuhörer um sich – egal ob in Passau, Hamburg, München oder Dresden. Vor allem Mechtersheimer ist dabei mittlerweile ein full-time Politprofi. Der nationale Doktor von Starnberg am See ist auch heute noch von Beruf „Friedensforscher“. Schon früh, als viele ihn noch für einen Linken hielten, kombinierte Mechtersheimer das Nationale mit dem Pazifistischen. Dem ist er bis heute treu geblieben, ansonsten aber agiert er in der Grau- und Braunzone zwischen Rechtsextremen, alten Rechten und neuen Konservativen. Seit 1990 firmiert er als Sprecher des „Friedenskomitees 2000“. Das Friedenskommitee hatte 1995 die Gründung einer „Deutschland- Bewegung“ beschlossen, die Basisaktivisten weiter zusammenführen sollte. „Zentrale Idee der Deutschland-Bewegung“, so das Friedenskommitee, „ist die nationale Sache“. Das Konzept boomt. Anfang 1996 schrieb Mechtersheimer Stellenanzeigen für „Regionalbeauftragte“ aus. Im Juli vergangenen Jahres bilanzierte Mechtersheimer schließlich zufrieden: „Wir haben in dem Bestreben, Personen und Organisationen zusammenzuführen, gute Erfolge erzielt. (...) Von den Aktiven wird unser Projekt immer mehr unterstützt.“ Das Friedenskomitee 2000 gibt dazu den 14tägigen Pressespiegel Innerer Frieden und das Magazin Frieden 2000. Nachrichten für die Deutschland-Bewegung heraus, in dem unter der Rubrik „Nachrichten aus Absurdistan“ schon mal auf dem Niveau rechtsextremer Hetzblätter Stimmung gemacht wird.

Auch im Internet ist Mechtersheimers „Deutschland-Bewegung“ vertreten. Und auf der Höhe der Zeit: Auf seiner Homepage wirbt Mechtersheimer für die „Anti-Diffamierungs-Aktion München“ – eine Initiative, die sich gegen die Wehrmachtsausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung richtet: „Die Ausstellung ist antideutsch, weil sie Verbrechen nur auf einer Seite des Krieges zeigt ... Es soll ein ganzes Volk erniedrigt werden.“

Mechtersheimers Friedenskomitee unterstützte zeitweise das „Bündnis Konstruktiver Kräfte Deutschlands“ (BKKD); eine der Sammlungen nationaler Klein- und Kleinstparteien jenseits der CDU, ein Zwischenschritt zur nationalen Partei. Bislang ist das Bündnis nur eine Plattform, in ihm sind der Bund Freier Bürger, der einstige Hoffnungsträger der CDU im Osten, die Deutsche Soziale Union (DSU) und die 1994 wiederbelebte Deutsche Partei vertreten. Auch im BKKD funktioniert die Vernetzung von Parteien, Junger Freiheit und rechten Denkzirkeln: Im Sprecherrat sitzt etwa der stellvertretende Vorsitzende des Bundes Freier Bürger und Junge Freiheit-Redakteur Bernd-Thomas Ramb. Das BKKD ist zunächst nur organisatorisches Dach für nationale Interessen, doch immerhin stellte es schon zum 3. Oktober 1995 eine Veranstaltung auf dem Kyffhäuser auf die Beine, bei der mehrere hundert Gäste dem Festredner Mechtersheimer erwartungsvoll lauschten. Im April vergangenen Jahres erhielt das BKKD Unterstützung aus etablierter Ecke. Heiner Kappel, organisatorischer Kopf der Nationalliberalen in der FDP, kündigte an, das BKKD „tatkräftig zu unterstützen“ – natürlich bei Wahrung der Loyalität zur eigenen Partei.

In diesem Sinne luden auch die Kritischen Liberalen, eine Filiale der nationalliberalen FDPler in der Hauptstadt, Alfred Mechtersheimer im Januar dieses Jahr zu einer Veranstaltung in einem Berliner Bezirksrathaus. Die Veranstaltung verhinderte der Rathausbetriebsrat – aber eine Wiederholung ist schon angekündigt. Thema des Abends: „Bedarf es einer nationalen Partei in Deutschland?“