„Mythologisierung“

■ Bündnisgrüne fordern verstärkte Aufarbeitung von DDR-Unrecht

Berlin (taz) – Auf dem Kurs ehemaliger DDR-Bürgerrechtler wollen Bündnis 90/Die Grünen im Umgang mit der SED-Vergangenheit auch künftig bleiben. Anläßlich einer Anhörung zur Aufarbeitung des DDR-Unrechts sagten Sprecher der Bundestagsfraktion gestern in Bonn: „Wir ziehen keinen Schlußstrich unter die beiden deutschen Diktaturen.“

Bundesvorstandssprecherin Gunda Röstel und Gerald Häfner, Mitglied der Enquetekommission „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur“, kritisierten die mangelnde Bereitschaft der Gesellschaft, sich mit Vergehen in der DDR zu beschäftigen. Wie in der Bundesrepublik der fünfziger Jahren werde die Vergangenheit verdrängt. Häfner beteuerte, er wolle nicht die Verbrechen der Nationalsozialisten mit dem Unrecht der DDR-Behörden auf eine Stufe stellen. Er sprach aber von einer drohenden „Mythologisierung“, bei der die Verantwortlichen zu Opfern und die Opfer zu Tätern stilisiert würden.

Die Bündnisgrünen verlangten eine deutliche Verbesserung der Entschädigungsleistungen für Verfolgte des SED-Staates und machten Vorschläge für Rehabilitierungsregelungen von Opfern sogenannter „Zersetzungsmaßnahmen“ der Staatssicherheit. Sie forderten insbesondere die Behörden auf, bessere berufliche Chancen für diejenigen zu schaffen, die aus politischen Gründen am Abschluß ihrer Ausbildung gehindert worden waren. „Die Aufarbeitung von Unrecht und Diktatur wird eine bleibende Aufgabe dieser Republik sein müssen“, heißt es in einer Erklärung der Bundestagsfraktion. „Die Aufarbeitung der Vergangenheit ist nie zu Ende, sondern die Voraussetzung für Demokratie und aufrechten Gang.“

Ganz andere Motive hatten den CSU-Abgeordneten Hartmut Koschyk am Wochenende bewogen, sich für eine „verstärkte Aufklärung krimineller Machenschaften des SED-Apparates“ einzusetzen. Der Sprecher der CDU/CSU in der Enquetekommission „DDR- Vergangenheit“ wies am Sonntag in Bonn darauf hin, daß bisher drei Milliarden Mark aus vereinigungsbedingter Wirtschaftskriminalität gesichert worden seien. Doch ein weitaus größerer Betrag gehe dem Staat verloren, wenn wie geplant zum Jahresende die Verjährungsfrist für minderschwere Delikte ablaufe, warnte Koschyk.

Genau diese Befürchtung hatte Anfang März einzelne Bundestagsabgeordnete der SPD-Fraktion in Berlin dazu bewogen, eine Verlängerung der Verjährungsfrist zu verlangen. Sowohl Berlins Justizsenatorin Lore Maria Peschel- Gutzeit (SPD) als auch der für DDR- und Vereinigungskriminalität zuständige Generalstaatsanwalt Christoph Schaefgen hatten sich jedoch auf einer Anhörung gegen eine solche Verlängerung ausgesprochen. Leif Allendorf