Disziplinarverfahren verschleppt

■ Borttscheller leitet keine Ermittlungen gegen von Bock ein

Innensenator Ralf Borttscheller hat das Disziplinarverfahren gegen seinen Staatsrat Hans-Georg von Bock und Polach wegen – salopp formuliert – Arbeitsverweigerung so lange verschleppt, daß nun die ersten relevanten Fälle disziplinarrechtlich schon vor der Verjährung stehen. Vorneweg ausgerechnet eine Strafanzeige des Bundesfinanzministers Theo Waigel. Gestern haben die Grünen eine entsprechende Anfrage an den Senat gestellt. Die knappe Antwort: Ein Disziplinarverfahren sei nicht eingeleitet worden, und das entspräche der Verwaltungspraxis. Erst wenn klar sei, ob die Staatsanwaltschaft von Bock anklagen werde, werde auch über ein Disziplinarverfahren entschieden. Eine kleine Rundfrage ergab dagegen: Die Verwaltungspraxis sieht ganz anders aus.

Der Fall: Eine der vielen Akten, die der ehemalige Oberstaatsanwalt von Bock unbearbeitet hinterlassen hat, war die Waigelsche Anzeige. Der war am 11. Februar 1994 als Gast des Schaffermahls von einem Demonstranten angepöbelt worden. Das Liegenlassen der Akte – eigentlich eine Angelegenheit für ein Disziplinarverfahren. Eigentlich, wenn die Sache nicht wegen der Borttschellerschen Verschleppungstaktik vor der Verjährung stünde.

Dahinter steht der Zusammenhang zwischen Straf- und Disziplinarrecht. Beim Waigel-Fall sieht der so aus: Erkennt die Staatsanwaltschaft, daß das Liegenlassen der Akte strafrechtlich relevant ist, dann kann die Angelegenheit auch disziplinarrechtliche Folgen haben. Stellt ein Staatsanwalt allerdings die Ermittlungen wegen dieses Falles ein, der aber disziplinarrechtlich trotzdem von Relevanz ist, dann greift das Disziplinarrecht nur, wenn die Tat nicht mehr als drei Jahre zurückliegt (Verjährung). Der Clou: Sobald der Dienstherr ein Disziplinarverfahren einleitet, und das wegen der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen aber ruhen läßt, wird die disziplinarrechtliche Verjährungsfrist angehalten. Und genau so ist die gängige Bremer Verwaltungspraxis. Weil Borttscheller das im Fall von Bock genau nicht getan hat, läuft die Frist in der Sache Waigel nun langsam ab. Wie langsam, das bemißt sich ab dem „Tag der Verfehlung“, so die Disziplinarordnung. Preisfrage: Wie lange darf man Akten liegenlassen?

Der Justizsenator, früherer Dienstherr von Bocks, wäre gerne aktiv geworden, durfte aber nicht. Denn disziplinarrechtlich zuständig ist der neue Dienstherr, und das ist Innensenator Ralf Borttscheller, der von Bock gerade in den Rang des Staatsrates gehievt hatte. In dessen Ermessen steht die Einleitung disziplinarrechtlicher Ermittlungen. Eine Ermittlungspflicht gibt es nicht. J.G.