American Pie
: Der Wahnsinn des März

■ Die Zukunft der NBA läßt sich während der turbulenten March Madness des Collegebasketball besichtigen

But something touched me deep inside

Seit letztem Donnerstag ist es wieder soweit. Das NCAA-Auswahlkomitee hat nach Ablauf der Meisterschaftsrunde in den einzelnen Collegeligen die 64 vermeintlich besten Teams zum Big Dance geladen. Nach dem K.o.-System wird sich das Teilnehmerfeld bis zum spektakulären Höhepunkt am Osterwochenende in Indianapolis auf die Final Four reduziert haben.

Noch immer bietet dieser Hoop-Marathon in seiner rasenden Abfolge von Kantersiegen, Aufholjagden, Thrillerschlüssen und Favoritenstürzen den aufregendsten Basketball des Jahres. Nirgendwo sonst wird von der ersten bis zur letzten Sekunde mit derartiger Intensität gekämpft. Schließlich wissen die meisten Spieler nur zu genau, daß sie nie wieder an einem auch nur annähernd so prestigeträchtigen Sportereignis teilnehmen werden. Für sie ist nach der vierjährigen Collegezeit Schluß mit dem Wettkampfsport.

Bei den Ausnahmekönnern ist dagegen immer häufiger vorzeitig Schluß mit dem College. Für die NCAA, den Veranstalter der Collegemeisterrunde, hat dieser Trend die ärgerliche und geschäftsschädigende Folge, daß sich ein gewisser Mangel an Stars eingestellt hat. So würden Leute wie Marcus Camby, Jerry Stackhouse, Allen Iverson, Kevin Garnett und Kobe Bryant zweifellos zu den Hauptattraktionen des diesjährigen Turniers gehören, hätten sie ihre Talente nicht bereits der NBA angedient.

Dem sportlichen Niveau der mit viel Enthusiasmus ausgetragenen Partien kann das aber nichts anhaben. Zu groß ist der Pool der Talente, die zudem in wachsender Zahl aus dem nahen und fernen Ausland an die besten Basketballschulen der Welt kommen, und zu herausragend noch immer der Kreis jener, die gegen den Trend ihre vier Jahre als Campuskönige bis zum Examensschluß genießen.

Die prominenteste Figur aus letzterem Kreis ist Tim Duncan, das 2,10 Meter große ehemalige Schwimmtalent von den Virgin Islands, das bei den nach guten Centern lechzenden NBA-Managern schon seit drei Jahren für feuchte Hände sorgt. Seine Beweglichkeit, seine Ballgewandtheit, sein Sprungvermögen und sein Spielverständnis konnten jedoch nicht verhindern, daß seine Collegekarriere am Ende doch kürzer war als vorgesehen. Überraschend schieden die Deamon Deacons von Wake Forest am Sonntag in der zweiten Runde mit 66:72 gegen Stanford aus, das seit 1942 nicht mehr so weit gekommen war. Zuvor hatten die Deacons zum erstenmal in vier Duncan-Jahren den Sieg in ihrer Conference verpaßt.

Im Weg standen ihnen dabei die Tar Heels aus North Carolina, bei denen der deutsche Nationalspieler Ademola Okulaja in seinem zweiten Jahr bereits einen Stammplatz in der ersten Fünf hat. Bei den Heels des fast schon legendären Dean Smith, seit Samstag der Collegecoach mit den meisten Siegen (877), verläuft die Formkurve umgekehrt. Sie sind nach einem blamablen Start zur rechten Zeit auf Touren gekommen, haben die letzten 14 Begegnungen gewonnen und sind Mitfavorit beim großen Showdown.

Weitere Anwärter auf einen Platz im Titelspiel am Ostermontag sind die Jayhawks aus Kansas, bei denen mit Point Guard Jacque Vaughn ebenfalls ein Senior, der den Verlockungen der NBA widerstanden hat, die Zügel in der Hand hält. Gute Chancen hat auch Titelverteidiger Kentucky, der mit seiner atemberaubenden Preßdeckung nach wie vor ein irrwitziges Spieltempo erzwingen kann.

Außerdem vor seinem NBA- Debüt in Augenschein zu nehmen: Keith van Horn von den Utah Runnin' Utes, ein 2,08 Meter großer Forward mit Qualitäten als Distanzwerfer, Paßgeber und Rebounder, der von vielen Beobachtern als neuer Larry Bird gehandelt wird. Ob diese Schuhe für van Horn nicht doch ein wenig zu groß sind, muß sich in den nächsten Jahren zeigen. In einem Punkt aber wird er den legendären Bird zweifellos nicht kopieren wollen. Der verlor nämlich sein einziges NCAA-Titelspiel mit der Indiana State University. Sein großer Widerpart im Jahre 1979 wie in den folgenden Profijahren auch: Magic Johnson.

Und daran hat sich, allen Unkenrufen zum Trotz, nichts geändert. Noch immer läßt sich die Zukunft der NBA am besten während der March Madness besichtigen. Jens Plassmann