Konventionen des verhäßlichten Tafelbilds

■ Das Münchner Lenbachhaus präsentiert den italienischen Maler Alberto Burri

Zusammengeflickte Säcke, gesprungene Farbflächen, verkohltes Holz, verschmortes Plastik – Angriffe auf die Vorstellungen vom Bild machten Alberto Burri zu Beginn der fünfziger Jahre schnell bekannt. Er entdeckte Materialien, die kein Künstler vor ihm verwendet hatte, und er bearbeitete sie unkonventionell: mit der Flamme des Schweißbrenners.

Als Burri zu malen begann, waren monochrome Malerei und Tachismus stilprägend. In ganz Europa probten die Maler den Ausbruch aus dem Tafelbild, und Burri war nicht der einzige, der die Schönheit des Häßlichen entdeckte. Er beschritt jedoch andere Wege als ein Antoni Tàpies oder Jean Dubuffet. Die Bilder aus zusammengenähten Säcken wurden Burris Markenzeichen, und er erweiterte sein Repertoire schnell: Holzfurniere, Stahlbleche, Plastikfolien und -platten.

Wenige Arbeiten der Münchner Ausstellung wie das Bild „Nero Plastica L.A. 3“ von 1963 mit seinen monochromen Verwerfungen bieten heute noch einen packenden Ekel. Der Rückblick auf die frühen Werke zeigt hingegen, daß die Materialien austauschbar sind. Burri ist vor allem an einem spielerisch spannenden Arrangement von Fläche und Form interessiert. Schockierten die „Sacchiä“ einst mit ihrer Roheit, wirkt heute die Linienführung der Nähte ausgesprochen kunstvoll. Zum Teil entwickelte die Nähmaschine ein wundervoll arabeskes Eigenleben. Ein rotgefärbter Schlitz ist „Wunde“ und überlegt gesetzter Farbakzent.

Wie der etwas ältere Lucio Fontana seine Leinwandschnitte mit schwarzen Flächen hinterfing, nicht das banale Lattengerüst des Keilrahmens oder gar die Ausstellungswand zeigte, so unterlegte Burri seine Sackbilder mit farbigen, meist schwarzen Flächen. Nichts Geringeres als den unendlichen Raum, das All und das Nichts zugleich wollten sie ins Relief der Malerei bannen. Heute wirken die Künstler dagegen eher wie eine Gruppe von Machos, die mit wohlkalkulierten Gesten der Zerstörung der Kunst neue Kraft geben wollten.

Sind diese Bilder nun existentialistische Kunst oder rein formale Übungen – die Befragung des Materials? Wenn man genau hinsieht, fällt auf, daß Burri das Schwarz der eingebrannten Löcher mit schwarzer Farbe vertiefte. Früher höhten die akademischen Künstler ihre Zeichnungen mit Weiß, um größere plastische Wirkung zu erreichen. Burris Manipulation für den schönen Schein ist dem vergleichbar. So traditionell können ästhetische Revolutionen sein. In den späteren Jahren gestaltete er mit seinen interessanten Oberflächen ganze Wandbilder, und als Fanal seiner Kunst kann der Betondeckel gelten, den er nach 1985 über das von einem Erdstoß eingeebnete sizilianische Dorf Gibellina gießen ließ. Burri übertrug die Schwundriß-Strukturen seiner Reliefs, die zu einem weiteren Markenzeichen geworden waren, ins Monumentale, so daß sie der Betrachter wie eine Ameise durchwandern kann.

In den Fünfzigern wurde Burri auch in den USA schnell bekannt. Heute tobt der Streit der Interpreten, ob es sein kann, daß ein Rauschenberg und ein Johns von Italienern angeregt wurden. Schon die Twombly-Retrospektive zeigte, wie wichtig die italienische Kunst für die amerikanische gewesen ist. Aber dieses Kapitel des internationalen Austauschs muß erst noch geschrieben werden. Der ansonsten interessante Burri-Katalog gibt da keine befriedigende Antwort. Die Retrospektive führt jedoch einmal mehr vor Augen, daß die Künstler der fünfziger Jahre mit der Monochromie und den Materialexperimenten die Grundlagen des Tafelbilds neu formulierten, eine andere als die malerische Sensibilität entdeckten. Die Künstler der Arte povera fanden in Burri einen Lehrmeister, so formulierte es zumindest Jannis Konnellis, auch die Bleibilder eines Anselm Kiefer, Imi Knoebels Schlacht-Bilder und vieles andere haben hier einen Vordenker. Das neue Vokabular ist heute Grundstock der Zeichensprache zeitgenössischer Malerei, und Burri hat diesen neuen Standard mit gesetzt. Aber die Ausstellung zeigt auch, daß er den Rest seines Lebens damit verbrachte, den schockhaften Neubeginn wieder in die Tradition einzubinden. Die Ästhetik des Häßlichen ließ sich ins Reich der Schönheit eingemeinden. Das Anstößige – in jeder Bedeutung des Wortes – blieb dabei auf der Strecke. Andreas Strobl

„Alberto Burri 1915–95“. Retrospektive, Kunstbau, Städtische Galerie im Lenbachhaus bis 6. April,

danach Palais des Beaux-Arts, Brüssel, Katalog 50 DM