Entschuldigung durch Seidenblüschen

Wenn es etwas gibt, das hausbackener ist als Kostüme mit Goldknöpfen, so ist es diese abgestandene Mischung aus männlich und weiblich. Gestern gingen die Pariser Prêt-à-Porter-Schauen für die Wintermode 1997/98 zu Ende  ■ Von Anja Seeliger

Gender-Bender, Yin und Yang – nennen Sie es, wie Sie wollen. Das Hauptthema der Pariser Prêt- à-Porter-Schauen war die Mischung aus männlichen und weiblichen Anteilen in der Kleidung.

Im Gegensatz zu Mailand hat es in Paris immer Designer gegeben, die neue, ungewöhnliche Ideen in diese Richtung hatten. Allen voran die Japaner – Yamamoto, Rei Kawakubo, Issey Miyake, aber auch Designer wie der Belgier Dries van Noten oder der Franzose Jean- Paul Gaultier. Dries van Noten beweist seit mehreren Jahren, daß der männliche Anzug unvollständig ist, wenn er ohne Kleid getragen wird. Gaultier hat in seine Männerkollektionen so viel weibliche Anteile einfließen lassen, daß der Transfer in die andere Richtung nie herablassend war, und Japaner konnten dem kleinen Unterschied noch nie etwas abgewinnen.

Mit Ausnahme von van Noten zeigen diese Designer ihre Kollektionen seit Jahrzehnten in Paris. Trotzdem sind sie immer noch Außenseiter. Die großen Pariser Modehäuser haben ihre Ideen nie aufgegriffen und integriert. Sie können einfach nichts damit anfangen! Das beste Beispiel für die allgemeine Ratlosigkeit in diesem Jahr war die Schau von Lolita Lempicka. Sie zeigte von allem ein bißchen: Anzüge, die lose wie Herrenanzüge geschnitten waren, aber immer mit superhohen Hacken getragen, Militärmäntel über durchsichtigen Chiffonkleidern, Strickröcke und dünne Seidenkleider, die wie Unterröcke aussahen – mit Spaghettiträgern und Spitze an Saum und Busen. Ein Querschnitt durch alles, was in den letzten zwei Jahren mal angesagt war. Nur eine neue Idee war leider nicht dabei. Wenn es auf dieser Welt überhaupt etwas gibt, das noch hausbackener ist als das kleine Kostüm mit den Goldknöpfen, dann ist es diese abgestandene Mischung aus weiblich und männlich. Als müßten sich Frauen heute noch mit adretten Seidenblüschen dafür entschuldigen, daß sie Hosen tragen.

Theoretisch können Frauen heute anziehen, was sie wollen. Eine Domina bei Mugler, eine Amazone bei McQueen, ein Partygirl bei Versace, eine seriöse Geschäftsfrau bei Jil Sander, eine reiche Bürgersgattin bei Saint Laurent – das sind die Eckpfeiler. Aber viel wichtiger sind die Zwischentöne. Zum Beispiel das Kostüm mit dem kurzen Rock: Stellen Sie sich eine Reihe von Frauen vor, die alle ein schwarzes Kostüm mit taillierter Jacke und schwarzem Rock tragen. Bei der ersten ist der Rock aus Leder, knielang und so eng, daß sie kaum trippeln kann. Die zweite trägt einen gerade geschnittenen Wollrock von edler Schlichtheit, der eine Handbreit vor dem Knie endet – eine noch seriöse Länge. Derselbe Rock, nur durchgeknöpft (goldene Knöpfe) und zwei Falten oben, die ihm eine weiche Rundung geben, so daß er weiblich und prächtig zugleich wirkt. Bei der vierten reicht der Rock bis zur Mitte der Oberschenkel und ist in schulmädchenhafte Falten gelegt. Und die fünfte schließlich trägt einen Rock aus schwarzem Stretch, der knapp die Hinterbacken bedeckt. Können Sie sich vorstellen, daß fünf Männer in einem schwarzen Anzug so vollkommen unterschiedlich aussehen?

Zugegeben, diese Liste ist ein wenig grob, aber sie trägt der Tatsache Rechnung, daß das weibliche Publikum bei den Schauen, obwohl fast durch die Bank in Schwarz gekleidet, unglaublich individuell und unterschiedlich aussieht. Ihre Kleider sagen nicht nur etwas über ihren Beruf und ihren Status, sondern auch über sie selbst aus. Die Männer dagegen strahlen nur eines aus: Macht. Es ist fast unmöglich zu sagen, welcher von ihnen ein kleines und welcher ein großes Tier ist. Ob er Familie hat und beim Sex Jungen oder Mädchen bevorzugt (schon gut, von Ausnahmen abgesehen).

Die Frauenmode kreist wie ein Karussell um diese Männlich- weiblich-Geschichte. Und in diesem Jahr hatte das Karussell wirklich überhaupt keinen Schwung mehr. Alle Ideen, die die Außenseiter fabrizieren – wie van Notens nomadenhafte Kleider, Vivienne Westwoods damenhafter Sex oder Gallianos Mädchenträume aus Seide, Schleiern, Pailletten und Federn –, verpuffen letztlich ungehört. Und schuld daran ist meiner Ansicht nach die phänomenale Unbeweglichkeit der Männermode.

Ein Mann im Anzug hat nicht für fünf Pfennig Sex. Erst wenn er die Jacke auszieht, wird sein Körper sichtbar. Um dies auch in der heißesten Jahreszeit zu vermeiden, wurden Klimaanlagen erfunden! Männer haben auch am Ende des 20. Jahrhunderts die besseren Jobs, die höheren Einkommen und die mächtigeren Positionen – weil sie den Körper, und das heißt den Sex, leugnen. Und weil die Frauenmode zu Recht darauf nicht verzichten will, läuft sie wie in einem Hamsterrad sinnlos gegen einen Gegner an, der auf dem Laufsteg unsichtbar ist – den Anzug.

Verbrennt ihn!