■ Schlagloch
: Wenn dem Kohlenpott die Kohle ausgeht Von Friedrich Küppersbusch

„Der Stammtisch mit Franz-Josef Kniola fällt aus!“ Banderole

auf SPD-Wahlplakaten

Diese Banderole klebte drei Wochen lang auf allen sozialdemokratischen Wahlplakaten in Dortmund-Barop und -Eichlinghofen. So sollte auch der letzte begreifen, daß MdL und Minister Kniola nun weiß Gott bzw. Rau was besseres zu tun habe, als Wahlkampf ausgerechnet dort zu machen, wo das Wählerpack die SPD gestellungsbefehlsmäßig anzukreuzen hat, traditionell. Dem Desinteresse der Regierenden antwortete das der Regierten: Als ich im Wahllokal vorbrachte, meine Wahlkarte verschusselt zu haben, konterte der Wahlleiter launig mit Hinweis auf seine überraschend leere Urne: „Scheißegal, heute nehmen wir jeden!“

Falls dieser NRW-Landtagswahlkampf 1995 jemals verfilmt werden sollte, möchte ich mich hier dafür aussprechen, die Rolle des Ministerpräsidenten mit Inge Meysel zu besetzen. Sein vielstündiges Schweigen am Wahlabend, seine Weigerung, vor die Presse zu treten, sein schließlich herausgetrotztes Statement, daß es noch nix zu sagen gäbe zu Grün, Rot-Grün, SPD-Verlusten und nicht mal zu der Frage, ob er denn nun weitermache – das hatte was von „Inge wendet sich erschüttert zum Fenster, nestelt am Blei der Gardine und teufelt mehr zu sich selbst ihr unvergleichliches ,Das ist nun der Dank dafür‘ ...“

Wie war am Rhein es doch vordem mit Kohlekumpel so bequem. Davon gab die letzte Woche einen bitteren Nachgeschmack: Ein rustikal-nostalgisches Drohpotential, das man bald hier demonstrieren lassen, bald dort campieren und dann schließlich auf Befehl nach Hause schicken kann. Textvorgabe: „Unser Kampf war ein großer Erfolg.“ Treffen sich zwei Bergarbeiter, sagt der eine: „Ich werd' gefeuert.“ Sagt der andere: „Das war ein Erfolg.“ War es ja auch: Allein und ausgerechnet in Berlin-Brandenburg sind mehr Bauarbeiter arbeitslos als die gut 40.000 Bergleute, die man bis 2005 nun kompromißweise loswerden will.

Daß auch das vor Ort kein Schwein mehr interessiere, mußte sich SPD-Fraktionschef Scharping im Bundestag von Unions-Gegenspieler Schäuble um die Ohren hauen lassen. Scharping lief mit dem Hinweis auf „die Menschen in Dortmund“ in den genüßlichen Konter Schäubles, man möge sich von SPD-Oberbürgermeister Samtlebe doch mal darüber belehren lassen, daß in Dortmund die letzte Zeche 1985 geschlossen habe und man SPD-seitig schwer stolz sei auf den gelungenen Strukturwandel. „Strukturwandel“ heißt in diesem Zusammenhang, daß 16 Prozent arbeitslos bleiben. Und daß die semipleite Kommune sich eine prima U-Bahn baut, um fünf Meter unter Tage Bergbauzubehör, Streckenvortriebstechnik und andere heimische Produkte zu testen. Anderswo werden ganze Atomkraftwerke als „Schaufenstertechnik“ gebaut, um ausländische Kunden zu werben. Dagegen scheint selbst jene Wahnidee vernünftig, die immer wieder mal durchs Revier promoted wird: Komplettvertunnelung der B1 von Essen bis Dortmund, mit 40 Kilometer Strecke die lustigste ABM- und Technikdemonstration seit dem Bau des Nürburgrings.

Nun ließe sich mutmaßen, daß die SPD-Forderungen desto behämmerter werden, je mehr es drum geht, die mitregierenden Grünen als jobkillende Technikzausel vorzuführen. Unvergessen Wolfgang Clements Glanznummer, an zweieinhalb Kilometer Autobahn für Opel in Bochum beinahe die Koalition krachen zu lassen. Diese „DüBoDo“ führt dann übrigens weiter nach Dortmund – wo sie aber nicht gebaut wird. Dort nämlich regiert des Wirtschaftsministers Partei allein und mit absolutistischer Mehrheit. Und hat den als überflüssig geltenden Highway aus dem Flächennutzungsplan gestrichen. Wenn das der Clement wüßte.

Ähnlich undankbar die Rolle der Bündnisgrünen in Bonn anläßlich der Kohledemos letzte Woche: Von den Protestformen und ihrer Heftigkeit her überaus sympathisch, diese Bergleute. Nackte Hintern, „Aufhängen!“-Chöre, FDP-Geschäftsstelle demolieren. Jetzt noch ein Kohletransport durch typische FDP-Wohngebiete, deren Widerstand Kanther niederknüppeln läßt – das hätte was. Andererseits sind es gerade die grünen, ökologischen Argumente, die am klarsten gegen die Steinkohle zu sprechen scheinen. Und deshalb von der FDP gnadenlos gecovert werden. Von der ganzen FDP? Nein: Als Juli-Landesvorsitzender Andreas Reichel mit dem Rest seiner Partei aus dem Landtag flog, brauchte er natürlich einen Job. Jetzt ist er – Pressesprecher der Ruhrkohle AG. Sicher Zufall, daß er, wie seine Mitarbeiter ausrichten ließen, letzte Woche ganz schwer, eigentlich gar nicht zu erreichen war. Das bringt der Job so mit sich.

So solidarisierten sich also die Bündnisgrünen mit Bergleuten, die sie gerade noch am Nordwandern hindern wollten, damit das Münsterland nicht absäuft. Rieten allerdings auch zum vernünftigen Verhandeln, zumal es um die ökologisch bedenkliche Steinkohle ging. Hatten aber auch Spaß an der Entschlossenheit der Lohnabhängigen, die die Intellektuellen nur noch beim Atomthema zustande bringen. Beschwichtigten aber auch gleich wieder, damit keiner denkt, die Grünen seien regierungsunfähige Randalefans. Mal unter uns: 30 Prozent des deutschen Stroms stammen aus Kohleverstromung. Gemäß Kompromiß wird dieser Anteil binnen acht Jahren halbiert. Letzte Woche ist in Bonn für die Atomlobby mehr bewegt worden, als mancher ahnt.

Gelöst worden ist also wenig letzte Woche in Bonn. Waigel hat 40.000 Bergleute plus x-tausend in Zulieferbetrieben an die Sozialkassen delegiert, was unterm Strich genau gar nichts spart. Dortmunds Stahlarbeiter rechnen nach, daß auch die Kokskohlebeihilfe halbiert wird, daß also Krupp- Hoesch mehr bezahlen muß, daß also der Scharping, irre, recht gehabt hat. Die FDP hat erneut eindrucksvoll demonstriert, daß sie nicht mal Angst vor Leuten hat, die sie eh nicht wählen. Die Bündnisgrünen bekommen als nächstes die Braunkohle aufs Brötchen – „oder wollt ihr mehr AKW?“ Und die SPD hat – Kumpel, was war das damals schön – nun doch noch den versprochenen Stammtisch nachgeholt. War zwar in Bonn, kam aber auch im Fernsehen.