„Das Maß der Belastung ist überschritten“

Ausbau des Flughafens Fuhlsbüttel: Rund 2000 Einwendungen wurden eingereicht, Flughafen-Anlieger und selbst vier Bezirksämter protestieren gegen die Pläne  ■ Von Heike Haarhoff

„Wäre Fuhlsbüttel heute noch ein Kartoffelacker“, sinniert Hans Saalfeld, „würde niemand auf die Idee kommen, hier mitten in der Stadt einen Flughafen zu bauen.“Der ehemalige SPD-Bürgerschaftsvizepräsident und inzwischen zweiter Vorsitzender der „Notgemeinschaft der Flughafen-Anlieger Hamburg e.V.“hat gesprochen. Die Runde nickt bedächtig. 1961 hat sie sich als eine der ersten Bürgerinitiativen Deutschlands gegründet. Die meisten sind Anwohner aus Fuhlsbüttel, Langenhorn, Groß-Borstel, Niendorf, Stellingen und wie sie alle heißen, die Stadtteile in der Einflugschneise des Flughafens im Hamburger Norden.

Gestern versammelten sie sich und die Presse, um zu erklären, warum sie nicht mehr können, warum sie dieses permanente Düsengewitter über ihren Häusern und Köpfen nicht mehr aushalten. „Das Maß der Belastung“, wie es einer ausdrückt, „hat die Grenzen des Erträglichen schon überschritten.“Und vor allem wollen sie eins nicht: Daß der Flughafen wie beantragt vergrößert wird.

Die derzeit 43 Stellflächen für Flieger sollen um 23 zusätzliche erweitert, die Zahl der Starts und Landungen von derzeit 149.000 jährlich auf 225.000 im Jahr 2010 gesteigert werden. 14 statt der bisher jährlich acht Millionen Passagiere sollen dann hier abgefertigt werden und zuvor mit ihren Pkws Fuhlsbüttel verkehrschaotisch zum Erliegen bringen: Eine öffentliche Verkehrsanbindung fehlt weiterhin; sowohl S- als auch Stadtbahn sind ungewiß. Dessen ungeachtet hat die Flughafen Hamburg Gesellschaft (FHG) ihr Begehr in 26 Aktenordnern der genehmigenden Wirtschaftsbehörde vorgelegt.

Knapp 2.000 Einwendungen von Verbänden, Parteien und Privatpersonen hat es dagegen gehagelt. Im Mai sollen die Vorwürfe öffentlich erörtert werden, danach wird entschieden. Das alles, wissen die Anwohner, kann nichts Gutes heißen. Niemand widerspricht. Klaus Köhler, der Fluglärmschutzbeauftragte der Umweltbehörde, nicht, und Clemens Finkbeiner-Dege, Sprecher der Flughafen Hamburg Gesellschaft (FHG) auf der Zuschauerbank, auch nicht.

Wer wollte auch behaupten, daß die kollektive Schlafstörung vieler der 15.000 Kinder im Flughafen-Einzugsbereich eine rein zufällige geographische Häufung sei? Wer bestreiten, daß die Flugbenzin-Abgase nicht nur stinken, sondern auch gesundheitsgefährdend sind? Wer wirklich glauben, daß eine Steigerung der täglichen Flug-Starts und -Landungen keinerlei Beeinträchtigung darstelle? „Selbst wenn jedes Flugzeug für sich heute durchschnittlich weniger Krach verursacht“, erklärt Hans Schwarz von der Norderstedter Interessengemeinschaft für Fluglärmschutz: „Das menschliche Ohr empfindet nicht den Dauerschallpegel, sondern das einzelne Flugzeug-Lärmereignis.“

Dagegen hat die Hamburger Fluglärmschutzkommission vergangene Woche öffentlich so richtig aufgemuckt: Nicht nur der Lärm, sondern auch die Flugbewegungen müßten „kontingentiert“, also zeitlich und zahlenmäßig begrenzt werden, fordert die unabhängige Kommission, die die Wirtschaftsbehörde in Lärmfragen berät, zum ersten Mal in ihrem 25jährigen Bestehen. Und die vom Ausbau betroffenen Bezirksämter Altona, Eimsbüttel, Hamburg-Nord und Wandsbek gehen gar so weit, in ihrer gemeinsamen vertraulichen Stellungnahme vom 12. März an die Wirtschaftsbehörde zu fordern, „die Flughafenentwicklung“müsse „unter dem Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme gesteuert werden. Dies ist nach der vorliegenden Planung nicht der Fall“.

Die Mitglieder der „Notgemeinschaft“finden das auch; anders aber als beispielsweise die Hamburger Grünen, die einen radikalen Erweiterungsstopp und eine Kooperation mit anderen norddeutschen Flughäfen zwecks Umverteilung der zusätzlichen Flüge fordern, trauen sich die Notgemeinschaftler nicht, eine für sie noch akzeptable Obergrenze an Flugbewegungen konkret zu beziffern.

„Natürlich wissen wir um den Wirtschaftsfaktor Flughafen“, will die erste Vorsitzende Helga Röder eben diesen „keinesfalls“gefährden. 6.000 Menschen arbeiten am Fuhlsbütteler Airport, zusammen mit den Beschäftigten der Flughafenwerft sind es 13.000. Letztere, fordert die Notgemeinschaft daher, „muß hier bleiben“; der Rest des Flughafens soll möglichst verschwinden, und zwar am liebsten auf die grüne Wiese ins schleswig-holsteinische Kaltenkirchen.

Die dortigen Naturflächen, die versiegelt und unter enormen Kosten bau- und verkehrlich erschlossen werden müßten, sind zwar immer noch im Besitz des Flughafens. Doch die Planungen für den „Ersatzflughafen“sind 26 Jahre alt – und selbst die FHG, so bestätigt Finkbeiner-Dege, will davon nichts mehr wissen.