Vor den Vätern stirbt der Sohn

■ Uwe Seeler & Jimi Hendrix: Dietmar Sous' Roman aus Fußball und Pop erzählt aus der alten Bundesrepublik

Fußball und Pop waren zwei Säulen der alten Bundesrepublik. Uwe Seeler und Jimi Hendrix trugen etwa zu gleichen Teilen zur Gestaltung der alltagskulturellen Emphasen bei. Wenn aber in der Literatur von Fußball die Rede ist, dann meist in einem parabelhaften Sinn wie in Handkes „Angst des Tormanns beim Elfmeter“. Auf Dietmar Sous' Roman „Abschied vom Mittelstürmer“ steht Fußball drauf, und es ist auch viel Fußball drin.

Als der Held des Romans, Keith (nach Stones-Gitarrist Keith Richards), gezeugt wird, gibt Jimi Hendrix sein letztes Konzert auf der Isle of Wight, und Keith' Mutter Ulla hat eine Affäre mit Bluesrocker Rory Gallagher, der im weiteren Verlauf als einer von fünf Vätern Keith' einige Male durch das Erzählte läuft. In den wild-deprimierenden Siebzigern aus Sex and Drugs and Rock 'n' Roll findet Ulla freilich wenig Zeit, ihren mütterlichen Pflichten und pädagogischen Vorstellungen in vollem Umfang nachzukommen, weshalb Keith seine Kindheit grötenteils bei Hein verbringt, seinem Großvater, einst Flakhelfer, jetzt Kneipier und Präsident des Fußballklubs FC 69 Lichtenstein. „Abschied vom Mittelstürmer“ ist also auch ein Provinzroman, der hinter die Anfänge der Bundesrepublik zurückreicht.

Keith muß am eigenen Leib erfahren, daß auf dem Land der sozialen Strukturierung durch den Fußball nicht zu entkommen ist. Hein möchte aus seinem unsportlichen, unmotivierten Enkel einen erfolgreichen Mittelstürmer machen, wie er selbst einer war, als Deutschland mit dem gloriosen Gewinn der Weltmeisterschaft 1954 sich „Wiedergeltung“ in der Welt verschaffte. „Abschied vom Mittelstürmer“ ist die Geschichte einer Zurichtung durch Fußball und Pop gleichermaßen.

Auf Dietmar Sous' Roman steht Fußball drauf und ist Fußball drin, aber der Roman möchte auch sehr viel mehr sein, Bildungs- und Milieuroman, mit einem Schuß Medien- und Sozialkritik. Der Autor ist dabei bloß der operator seines Romanpersonals, das er sich mit lakonischer Erzählkunst vom Leib hält. Während Hein zeitlebens einer heroischen Kriegserzählung nachhängt, macht Keith seine größte Schmerzerfahrung in einem Fußballspiel, in das er nach seiner Beschneidung geschickt worden war, die er hatte vornehmen lassen, um bei Nina, seiner Angebeteten, landen zu können. Kurz vor Ende des Spiels wird er von einem Ball an der empfindlichen Körperstelle getroffen und erzielt auf diese Weise das entscheidende Tor. Sport hurts.

Keith' Geschichte ist nicht zuletzt die seiner Generation, die auf tragikomische Weise trotz fortschreitenden Alters immerzu damit beschäftigt ist, erwachsen zu werden. „Zaungäste“ hat Reinhard Mohr die eigenartig unbeteiligte Zwischengeneration genannt, die nach den 68ern kam. Dietmar Sous gehört ihr an, und er hat seinen jüngeren Helden deutlich nach deren Muster gestrickt. Fußball und Pop verlängern die Verweildauer im psychosozialen Moratorium, und selbst in der Arbeitswelt kann es gelingen, ohne den nötigen Ernst über die Runden zu kommen. Nach seiner Fußballerzeit landet Keith bei einem Rundfunksender, wo bereits die Auflistung von Ortsnamen wie Geilenkirchen oder Tittenhausen in der Morgensendung Spaßgewinn bringt. Man schreibt mittlerweile die achtziger Jahre, will nicht viel mehr als Fun und ist immer auf Sendung.

In der Zeit hat Sigrid Löffler kürzlich mit energischer Stimme das Ende der Spaßgeneration angemahnt. Das Über-Ich eines Autors wie Dietmar Sous scheint indes längst in diesem Sinne zu funktionieren. Das bedeutet für einen indifferenten Charakter wie Keith nichts Gutes. Vaterlos, blüht ihm die Strafe des Vaters. Schon möglich, daß Dietmar Sous die Auswirkungen einer vaterlosen Gesellschaft vor Augen hatte. Vor dem Vater jedenfalls läßt der Autor den Sohn sterben, versehentlich zwar, aber wohl auch in der Konsequenz eines desorientierten Lebens. Wer aber schreibt, der bleibt. Harry Nutt

Dietmar Sous: „Abschied vom Mittelstürmer“. Rotbuch Verlag, 230 S., 39 DM