■ Verfassungsgericht läßt Nacht-und-Nebel-Abschiebung zu
: Kein Notdienst für Flüchtlinge

So erleben bosnische Flüchtlinge den Rechtsstaat in Deutschland: Zwei Tage vor ihrer geplanten Abschiebung werden sie überfallartig in Abschiebehaft genommen. Rechtsmittel sind möglich. Am Tag vor der Abschiebung lehnt das Verwaltungsgericht eine einstweilige Anordnung ab. Der Anwalt bekommt den Entscheid aber erst abends während der „Tagesschau“. Noch ein weiteres Rechtsmittel steht offen. Doch natürlich wird er beim Oberverwaltungsgericht vor der für 7.35 Uhr geplanten Abschiebung niemanden erreichen. Also wendet er sich in seiner Verzweiflung an das Verfassungsgericht, weil er weiß, daß von dort aus schon manche Abschiebung durch einen unbürokratischen Telefonanruf in letzter Minute gestoppt werden konnte.

Doch das war einmal. In seinem Asylurteil vom Mai letzten Jahres erklärte das Verfassungsgericht, daß es in Asylfällen künftig sparsamer mit einstweiligen Anordnungen und informellen Anrufen umgehen will. Ihre Verfassungsbeschwerde können abgeschobene AsylbewerberInnen dann aus dem Ausland einlegen. Daß die Verfassungsbeschwerde gerade in den brenzligen Fällen nicht mehr viel wert ist, ist auch einer Minderheit des Zweiten Senats (darunter Präsidentin Jutta Limbach) aufgefallen. Sie protestierte in einem geharnischten Sondervotum.

Sicher kann die überstürzte Abschiebung nach Bosnien nicht mit der Rückführung in ein Bürgerkriegsland oder einen Folterstaat gleichgesetzt werden. Dennoch hat es etwas Unbarmherziges an sich, wenn ein bei Nacht und Nebel abgeholter Flüchtling beschieden wird, das Verfassungsgericht könne sich nicht „rund um die Uhr“ für vorläufige Entscheidungen bereithalten. Ein derartiger Rechtsanspruch besteht nicht, aber früher, so denkt man unwillkürlich, gab es eben guten Willen, und heute gibt es ihn ausdrücklich nicht mehr.

Und doch ist diese Sichtweise verkürzt. Natürlich hat ein Gericht, das dem Grundrechtsschutz gewidmet ist, eine besondere, auch moralische, Verantwortung. Nur: Karlsruhe kann wirklich nichts dafür, wenn Inhaftierung und Abschiebung so kurztaktig aufeinander folgen, daß für einen Rechtsschutz schon zeitlich keine Möglichkeit zu bleiben scheint. Zu „prügeln“ ist daher nicht das Verfassungsgericht, sondern der Berliner Innensenat und die dortigen Verwaltungsgerichte, die diesem Zynismus keinen Einhalt gebieten. Christian Rath