Stahl schlägt sich, Stahl verträgt sich

■ Krupp und Thyssen verhandeln. Thyssen-Arbeiter wieder am Hochofen, Krupp-Stahlkocher jetzt im Streik

Berlin (taz) – Der böse Wolf der letzten beiden Tage, Krupp-Hoesch-Chef Gerhard Cromme, hat nach Protesten aus allen Richtungen nun offenbar Kreide gefressen. Nachdem die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen die beiden Konzernchefs am Dienstag abend zu einem Gespräch gebeten hatte, hieß es gestern aus der Essener Krupp-Zentrale: Die Übernahme der größeren Thyssen AG ist vorläufig auf Eis gelegt. Statt dessen werden sich heute und in den nächsten Tagen die beiden Vorstandschefs Cromme (Krupp) und Dieter Vogel (Thyssen) über eine Fusion ihrer Stahlbereiche unterhalten. Nur wenn sich die beiden Vorstände nicht einigen können, steht die „feindliche Übernahme“ von Thyssen durch Krupp- Hoesch wieder auf dem Plan.

Bisher arbeiten die beiden größten deutschen Stahlunternehmen nur bei der Produktion von Weißblech und Edelstahl (Nirosta) zusammen. Durch eine vollständige Verschmelzung der Stahlsparten würden sich nach einer Schätzung von Krupp- Hoesch 75 Prozent der von der Thyssen- Übernahme erwarteten Rationalisierungen – zu einem großen Teil der Abbau von Arbeitsplätzen – verwirklichen lassen. Das käme auch Thyssen-Chef Vogel zupaß.

Die Thyssen-Arbeiter wollten angesichts der neuen Lage ihre Arbeit vorläufig wieder aufnehmen. Die Stahlkocher von Krupp-Hoesch dagegen beschlossen gestern, zumindest bis zum heutigen Donnerstag die Arbeit niederzulegen. Nach Einschätzung des Thyssen-Betriebsratschefs Dieter Kroll würden auch bei einer „kleinen“ Fusion nur der Stahlbereiche viele Stellen bei der Thyssen-Kokerei in Duisburg wegfallen. Vor allem jedoch stehe „der Opferstock bei Krupp-Hoesch in Dortmund“. Allein dort seien 5.500 Arbeitsplätze in Gefahr. Bei Thyssen arbeiten noch 36.000 Menschen im Stahlbereich, bei Krupp-Hoesch 22.000.

Wie der Thyssen-Chef Vogel den nach der Vorherrschaft in der deutschen Stahlindustrie strebenden Cromme mit einer Teilfusion zufriedenstellen will, ist unklar. Gerhard Cromme will immerhin – „um auf dem Weltmarkt bestehen zu können“ – Chef eines dann 63 Umsatzmilliarden großen Konzerns werden. Außerdem späht der Krupp-Chef wegen der eigenen hohen Schulden wohl auch nach den stillen Reserven in Thyssen-Milliardenhöhe.

Ob die beiden Firmen sich nun auf eine teilweise Verschmelzung einigen oder ob Thyssen übernommen wird: Die Großbanken haben wieder einmal Strukturpolitik zu ihren Gunsten betrieben. Sie wollen eine profitable Stahlsparte, um ihre eigenen Anteile an den Unternehmen der Branche aufzuwerten und ihre Kredite zu sichern. Weil sich die beiden Konkurrenten nicht aufeinander zubewegten, haben die Banken nun in Gerhard Cromme einen Mitstreiter für eine in ihren Augen überfällige Bereinigung gefunden.

Für die Strukturpolitik in NRW ist inoffiziell die Westdeutsche Landesbank zuständig. Die von der SPD mitbestimmte Bank muß sich in diesem Fall zurückhalten, um die Sozialdemokraten nicht mit dem aus der Übernahme folgenden Arbeitsplatzabbau in Verbindung zu bringen. Also haben Deutsche und Dresdner Bank die Führung bei der etwaigen Fusion übernommen. Und ein Einblick in die Lage sowohl bei Thyssen als auch bei Krupp- Hoesch darf ihnen getrost unterstellt werden: Bei Krupp sitzt die Dresdner zusammen mit der WestLB im Aufsichtsrat. Bei der Thyssen AG drängeln sich gar je ein Vertreter von Dresdner, Deutscher und der Commerzbank in der Firma. rem

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