„Eines der letzten Abenteuer“

■ Sonntag hat der Hamburger Marco Stünkel seinen großen Auftritt. Dann kämpft der 27jährige Thaiboxer von den „Northern Thaiholics“im Curio-Haus um die Europameisterschaft in der Klasse bis 76 Kilogramm

Der Weg in den Sportclub führt durch einen kleinen Hinterhof. Kein Hinweisschild, keine auffällige Reklametafel. Nur an den Fensterscheiben des dritten Stockwerks klebende Plakate lassen vermuten, daß sich in diesem Winterhuder Geschäftsgebäude das Trainingsstudio der Northern Thaiholics Hamburg befindet.

Die Luft steht in dem von Neonröhren beleuchteten Übungsraum. Der einzige Spiegel ist völlig beschlagen – kondensierter Schweiß. Zwölf junge Männer bearbeiten bereits seit über einer Stunde die wuchtigen, von der Decke herabbaumelnden Sandsäcke. Immer wieder simulieren sie gezielte Schläge und Tritte.

Marco Stünkel weiß, warum er regelmäßig zum Training hier ist. „Thaiboxen ist eines der letzten legalen Abenteuer, die einem noch geblieben sind“, beschreibt der 27jährige den Boxring als Zufluchtsort für den Schlag Mensch, der gerne gegen andere kämpft. Seit mittlerweile acht Jahren schnürt Stünkel die Boxhandschuhe. Vor zwei Jahren wechselte er zu den Profis.

Sich mit einem Kontrahenten im Ring zu messen, sei das absolut Größte, erzählt er voller Faszination. Dafür trainiere er hart. In den vergangenen zwei Monaten sogar sehr hart – sechsmal die Woche, jeweils zwei Stunden am Abend. Tagsüber geht Stünkel seinem Beruf als Tischler nach. Auch als Thaibox-Profi ist es unmöglich, von den Einkünften aus diesem in Deutschland noch sehr jungen Sport zu leben.

„Nur sonntags lege ich die Beine hoch“, verrät der 1,91 Meter große durchtrainierte Athlet mit einem breiten Grinsen, wohlwissend, daß an diesem Wochenende alles anders sein wird. Zum 29. Mal in seiner Karriere wird der Hamburger am Sonntag im Curio-Haus einen offiziellen Kampf bestreiten, seinen „bislang wichtigsten“.

Im Rahmen einer Thai- und Kickbox-Gala boxt Stünkel um den Europameistertitel in der Klasse bis 76 Kilogramm. „Ich werde gewinnen“, verschwendet der Mann mit der Kampfbilanz von 25 Siegen und drei Niederlagen keinen Gedanken an ein mögliches Debakel.

Doch nicht nur der zwei Jahre ältere Niederländer Faizel Reding – Spitzname: The Body Snatcher („Der Leichendieb“) – auch der brutale Ruf, der dem Thaiboxen vorauseilt, muß Stünkel entgegentreten. In der Öffentlichkeit herrscht nicht selten der Eindruck vor, Thaiboxen sei gleichbedeutend mit blinder Gewalt und brutalem Draufloskloppen finsterer Kiezgestalten.

Die Vorurteile („Harte Kerle, weiche Birne“) stimmen nicht, sagen die Aktiven. Schließlich werde nach genau festgeschriebenen Regeln gekämpft. Die Thaiboxer dürfen ihren Gegner nur mit Knien, Ellenbogen, Fäusten und Füßen angehen. Tritte zum Rücken, in den Genitalbereich sowie auf die Gelenke sind verboten, ebenso Schläge mit den Kanten und Innenflächen der Boxhandschuhe oder Ellenbogen- und Kniestöße zum Kopf.

Die Ursprünge des „Muay Thai“oder Thaiboxens gehen beinahe eintausend Jahre zurück. Thailändische Bauern trotzten damals der staatlichen Unterdrückung und entwickelten zu Selbstverteidigungszwecken eine höchst eigenwillige Kampftechnik. Sie kopierten Bewegungen aus der Tierwelt, wie den peitschenden Schwanz des Krokodils oder das Gerangel und Geklammere der Bergmondgorillas. Auf diese Weise bildeten sie ihre Arme und Beine zu gefährlichen Schlaginstrumenten aus.

Viele der knapp 1200 im Curio-Haus erwarteten Kampfsportfans kümmern sich wenig um die Geschichte des Thaiboxens. Sie interessieren sich für die Gegenwart und wollen es ordentlich knacken hören. Das gehöre schließlich zum Thaiboxen dazu. Till Görres ist anderer Ansicht: „Wir wollen mit dem „Hau-in-die-Fresse-Image nichts zu tun haben“, stellt Stünkels Trainer und Veranstalter unmißverständlich fest.

Der Sport, „so hart er auch sein mag“, stünde immer im Vordergrund. „Und wenn sich einer im Ring wirklich daneben benimmt“, würde der schnell zur Raison gebracht. In den meisten Fällen sei der Coach schuld, „Spinner eben“, mit schlechtem Einfluß auf ihre Boxer, hat der 31jährige Görres gelernt. Disziplin und Respekt vor Trainer und Gegner seien unumgängliche Voraussetzungen eines jeden Thaiboxers.

Stünkel hat diese Maximen längst verinnerlicht, auch wenn er zugeben muß, nicht mehr zu denken, wenn er im Ring steht. „Dann versuche ich nur noch, die Taktik und die Anweisungen meines Trainers umzusetzen“, schildert Marco den tranceartigen Zustand während eines Kampfes. „Selbst wenn die Zuschauer die Halle verließen, würde ich es nicht mitbekommen.“Lieber wäre ihm allerdings, wenn sie ihn am späten Sonntag abend als Sieger feierten. Oliver Lück

Thai- und Kickbox-Gala mit insgesamt 13 Kämpfen: Sonntag, Einlaß um 15 Uhr, Beginn um 16 Uhr, Curio-Haus (Rothenbaumchaussee)