Ein Tusch auf die Elite

■ Barbara Beuys' Histörchen „Heimat und Hölle“

Geschichtsbücher sind oft staubtrocken, voller Fremdwörter und komplizierter Theorien. Und leider bleibt noch so lebendig erzählte Historie ohne Reflexion auf dem Niveau bloßer Anekdoten stecken. Barbara Beuys beginnt und beendet ihr Werk Heimat und Hölle. Jüdisches Leben in Europa durch zwei Jahrtausende mit zwei Zitaten. Dazwischen: 30 Kapitel, 781 Seiten, 2000 Jahre und unendlich viele Mini-Histörchen. Mit ihnen will die Hamburger Autorin die aktive Rolle der jüdischen Minderheit in der europäischen Geschichte und Kultur dokumentieren.

Die Dönekes belegen vor allem die Vorliebe der promovierten Historikerin für Lebensläufe berühmter historischer Persönlichkeiten. Darunter leiden schnell Stringenz und Leserschaft. Spätestens im 10. Jahrhundert verheddert sich die Darstellung zum wirren Kompilat. Einige interessante Kapitel verstecken sich in dem Wust dennoch, nämlich die über Kabbala, jüdische Mystik und Chassidismus. Leider schafft Beuys es nicht, Akzente zu setzen. Wichtige Informationen gehen so in der Fülle belangloser Details verloren. Und meist geraten Wirtschaftsgeschichte, Gemeindestrukturen, königliche Edikte und religiöse Vorschriften durcheinander. Da in diesem Werk Anfänge und Schlußworte irgendwie nicht so wichtig sind, erschließt sich erst auf den dritten Blick, worum es eigentlich geht: um das Hochfeiern von Eliten.

Was die versprochenen, neuen Erfahrungen über das Zusammenleben von Juden und Christen betrifft: Bei dieser Form der Darstellung sind Christen mal die netten Nachbarn von nebenan, mal fallen sie wie ein Heuschreckenschwarm aus dem Nichts über die jüdischen Gemeinden her. Antisemitismus ist aber keine biblische Plage. Er hat politische und gesellschaftliche Ursachen, die erklärt werden müssen. Sonst bewirkt ein solches Buch nichts anderes, als ein paar weitere Namen in die europäische VIP-Liste einzutragen. Barbara Paluskova

Barbara Beuys: „Heimat und Hölle. Jüdisches Leben in Europa durch zwei Jahrtausende“, Rowohlt, 781 S.