Für Rückkehrer ist kein Platz

Aus Deutschland abgeschobene Flüchtlinge finden im bosnischen Tuzla keine Aufnahme: Wenn noch mehr kommen, „gibt es Chaos“  ■ Aus Tuzla Julia Naumann

Tuzla ist eine Mischung aus Bitterfeld und Marzahn. Wenn es draußen diesig ist, dann stinken die nur noch teilweise intakten Chemiefabriken am Rande des Städtchens noch mehr als sonst. Die übelriechenden Nebelschwaden aus der Chlorherstellung und den Kokereien breiten sich überall aus: in der Altstadt mit ihren geduckten, verwitterten Häuschen mit vereinzelten Einschußlöchern genauso wie in den zahlreichen Hochhaussiedlungen, die viele Straßen Tuzlas dominieren. Die Abgase nebeln die Stadt zwar ein, doch trotzdem ist sie voller Leben: Die Geschäfte sind voller Menschen, die Autos – 10.000 mehr als vor dem Krieg – verstopfen die Straßen, die durch den jahrelangen Salzabbau in der Region teilweise abgesackt sind. Überall herrscht hektische Betriebsamkeit.

Das ist kein Wunder, denn Tuzla quillt über. 1991 lebten hier nur 132.000 Menschen, über 20.000 flüchteten nach Kriegsausbruch in andere Teile des Landes oder in andere Staaten. Jetzt aber kamen fast doppelt so viele zurück: Fast 50.000 Flüchtlinge aus den jetzt serbisch besetzten Gebieten wurden seit 1992 von der Stadtverwaltung aufgenommen.

Das funktioniert, sagt Jasmin Imamović, der stellvertretende Bürgermeister, stolz, weil Tuzla schon immer eine multikulturelle Stadt gewesen sei, in der Muslime, Kroaten und Serben gut zusammen lebten und arbeiteten: „Die Leute tun sich hier nichts.“ Und deswegen wollen jetzt alle in Tuzla leben, einer Stadt, die im Krieg kaum zerstört wurde: die EinwohnerInnen Tuzlas, die nicht geflüchtet sind, die 50.000 Inlandsflüchtlinge und diejenigen – meistens Muslime –, die ins Ausland flüchteten und jetzt ebenfalls eine neue Heimat suchen. Doch für diese Flüchtlinge, die in Deutschland oder Frankreich den Krieg überlebten, ist in Tuzla kein Platz.

„Wir sind nicht mehr in der Lage, Flüchtlinge aufzunehmen“, bedauert Imamović. 500 freiwillige Rückkehrer aus Deutschland mußten in Tuzla schon abgewiesen werden: keine Wohnungen, keine Arbeit. Kämen noch weitere Flüchtlinge, gebe es ein „Chaos“, sagt Imamović. Auch die Inlandsflüchtlinge sind über die jetzt langsam eintreffenden Rückkehrer aus dem Ausland nicht sehr erbaut. Denn diese könnten ihren mühsam aufgebauten, immer noch unsicheren Status zerstören. Die meisten der Inlandsflüchtlinge haben nämlich nur noch ein bis zwei Jahre Anrecht auf ihre Wohnungen, die sie bei der Ankunft in Tuzla über das Flüchtlingskommissariat vermittelt bekommen haben. So fürchtet der ehemalige Bürgermeister Srebrenicas, Fahrudin Salihović, daß die Flüchtlinge nach Ablauf der Verträge keine Wohnungen mehr bekommen.

Salihović ist mit 14.500 Menschen nach dem Massaker in der UN-Schutzzone Srebrenica vor zwei Jahren in den Kanton Tuzla geflüchtet ist. Sie alle müssen in Bosnien ein neues Leben anfangen, zurück nach Srebrenica können sie nicht. Dort waren 1991 drei Viertel aller EinwohnerInnen Muslime, heute leben dort keine mehr.

Tuzlas Flüchtlingsminister Adib Bozić kümmert sich deswegen also eher um das Schicksal der Inlandsflüchtlinge, weil diese in der Überzahl sind. Doch auch die 2.000 Flüchtlinge aus Tuzla, die momentan noch in Deutschland leben, werden auf lange Sicht zurückerwartet. Freiwillig zurückgekehrt sind, so Bozić, „erst ganz wenige“, obwohl Tuzla als sehr sichere Stadt gilt. Als Grund für das Fernbleiben nennt er nur einen: die hohe Arbeitslosigkeit, die bei 70 Prozent liegt. Darüber können auch die nur noch halb funktionierenden Chemiefabriken mit ihren nebligen Abgasen nicht hinwegtäuschen.