Die Staatsgewalt am Pranger

■ "Büro gegen ethnische Diskriminierungen" veröffentlicht zum Internationalen Antirassismus-Tag die Geschichte eines SEK-Einsatzes bei einer türkischen Familie

Herr Y. klagt über Kreislaufbeschwerden, Schlaflosigkeit und Kopfschmerzen. Weil sein Nasenbein gebrochen war, muß er bald zum zweiten Mal operiert werden. Die drei minderjährigen Kinder der türkischen Familie leiden unter Angstzuständen und Schlaflosigkeit, erzählt Frau Y. In der Nacht auf den 24. Oktober vergangenen Jahres ist die Neuköllner Wohnung der Familie sowie deren Restaurant in Prenzlauer Berg von einem Sondereinsatzkommando der Polizei durchsucht worden. Herr Y. wurde des unerlaubten Waffenbesitzes und der Hehlerei verdächtigt. Er und seine Familie seien bei dem Polizeieinsatz schwer mißhandelt worden, obwohl sie keinen Widerstand geleistet hätten, gab Y. später an.

Auch nach Ansicht des „Büros gegen ethnische Diskriminierung in Berlin und Brandenburg“, handelt es sich um einen Fall „unverhältnismäßiger Polizeigewalt“. Die Flüchtlingsinitiative machte die Angelegenheit gestern anläßlich des heutigen Internationalen Tages gegen Rassismus öffentlich.

Etwa 20 SEK-Beamte, behelmt und mit Schlagstöcken, seien in die Wohnung eingedrungen, schätzt Y. Das Ehepaar und die Kinder hätten bereits geschlafen. Schon im Bett sei er mit Knüppeln und Fäusten geschlagen worden. Einen Durchsuchungsbefehl hätten die Beamten nicht gezeigt. Gewehrt habe er sich nicht, nur schützend die Hände vors Gesicht gehalten – länger als 20 Minuten.

Die beteiligten Beamten bestreiten dies. „Herr Y. hat heftigen Widerstand geleistet“, erklärte eine Sprecherin der Polizei gestern gegenüber der taz. Die Einsatzkräfte hätten nicht mehr Gewalt angewendet, als zur Verhaftung notwendig war. Das Sondereinsatzkommando sei hinzugezogen worden, weil Y. „innerhalb eines umfangreichen Verfahrenskomplexes verdächtigt wurde, in dem auch Menschenraub und Waffenhandel eine Rolle gespielt haben“. Zudem habe man davon ausgehen müssen, daß Y. im Besitz einer scharfen Waffe sei. Die Polizisten fanden tatsächlich zwei Pistolen in der Wohnung, für die Y. keinen Waffenschein besaß.

„Ich habe mir die Waffen besorgt, weil ich große Angst hatte“, sagt er, „nur zum Selbstschutz, weil ich schon mehrfach überfallen worden war.“ Y. wurde wegen unerlaubten Waffenbesitzes zu einer anderthalbjährigen Haftstrafe auf Bewährung verurteilt. Die Ermittlungen wegen des Verdachtes auf Hehlerei und Bandenbildung laufen noch. Y. bestreitet die Vorwürfe energisch. Er habe nichts davon gewußt, daß einige seiner Restaurantgäste im Verdacht standen, Kreisen organisierter Kriminalität anzugehören. Holger Wicht