Dealer, Cops und schwarze Limousinen

■ Ohne Kif durchs Rif, eine Recherche mit Hindernissen: Die Fahrt ins Rifgebirge, dem marokkanischen Hauptanbaugebiet von Cannabis, mündete in wilde Autoverfolgungsjagden

Anfang 1993 leitete der marokkanische König Hassan II. auf Druck der Europäischen Gemeinschaft eine Kampagne gegen den Anbau und Handel mit Cannabis ein. Im Frühjahr 1994 fuhr ich zusammen mit einem Fotografen im Auftrag eines großen deutschen Nachrichtenmagazins nach Marokko, um zu sehen, was daraus geworden war.

Der Fotograf und ich mieteten in Tanger ein Auto und begaben uns ins Rifgebirge, das Hauptanbaugebiet von Cannabis. In den kleinen Bergdörfern standen junge Männer an der Straße, winkten mit großen Plastikbeuteln und machten Anstalten, sich vor unser Auto zu werfen, um uns zum Halten zu bringen. Gelegentlich nahm ein Auto die Verfolgung auf und versuchte, uns auf offener Strecke zu blockieren. Als wir Ketama passierten, die Hauptstadt des Cannabis, war es Nacht, eine Nacht im Fastenmonat Ramadan, und die Straßen menschenleer, weil alle zu Hause beim Essen saßen.

Eine halbe Woche später machten wir uns von der Hafenstadt al- Hoceima aus erneut nach Ketama auf, diesmal am Tage, um uns den Ort anzusehen. Auf unsere Bitte hin begleitete uns, wenn auch widerstrebend, ein Marokkaner, den wir in einem Dorf kennengelernt hatten. Ketama ist ein Nest in den Bergen, idyllisch in einem Pinien- und Zedernwald gelegen. Weniger idyllisch war freilich unsere Ankunft dort. Kaum hatten wir das Auto verlassen, wurden wir von einigen jungen Männern eingekreist, die uns Haschisch verkaufen wollten. Nach wenigen Minuten und noch weniger Fotos machte eine Limousine neben uns halt, deren männliche Insassen uns aufforderten, mit auf die Wache zu kommen, um uns auszuweisen. Sie fuhren, wir gingen. Auf der Wache, die in einem offenen Areal lag, nahm man uns die Papiere ab und fragte uns eindringlich, ob wir Journalisten seien, was wir verneinten, da wir um die wenigen Fotos des Fotografen fürchteten. Während in einem Nebenzimmer jemand aufgeregt versuchte, Funkkontakt herzustellen, setzte sich ein Dealer zu uns, der kurz zuvor auf der Straße besonders aufdringliche Verkaufsangebote gemacht hatte, sowie ein junger Mann, der sich als Angestellter der Gemeinde vorstellte. Beide bewegten sich mit großer Selbstverständlichkeit auf der Wache. Wir sollten uns keine Sorgen machen, beruhigte uns der Angestellte, wir seien ja nur Touristen. Nach unserer Freilassung könnten wir getrost in die Berge fahren und Haschisch kaufen, soviel wir wollten. Vom Innenministerium sei die Mitteilung gekommen, zwei deutsche Journalisten seien auf dem Weg in die Region, und die sollten aufgehalten werden. Irgendwie seien die ihnen aber entwischt. Das gefalle ihnen gar nicht.

Nach etwa einer Stunde bekamen wir unsere Papiere zurück, es gab herzliche Entschuldigungen für die Unannehmlichkeiten, und man legte uns eindringlich nahe, ohne weitere Fotos den Ort unverzüglich zu verlassen, denn während des Fastenmonats seien die Leute manchmal etwas reizbar.

Wir verließen den unwirtlichen Ort in der Tat, allerdings in Begleitung des Dealers, den unser marokkanischer Begleiter nun als entfernten Verwandten vorstellte, den man aus Gründen der Gastfreundschaft nicht zurückweisen dürfe. Kaum hatten wir Ketama hinter uns gelassen, brach ein heftiger Streit zwischen unserem Bekannten und seinem Verwandten aus. Auf Nachfrage erklärte der Dealer, da die Polizei uns gemeinsam habe abfahren sehen, gehe sie nun davon aus, daß er uns Haschisch verkaufe, und werde deshalb Geld von ihm eintreiben, wenn er zurückkomme. Also müßten wir eine Art Abstandszahlung leisten, wenn wir schon kein Haschisch kauften. Der Fotograf wendete daraufhin umstandslos und kehrte in Richtung Ketama zurück, um, wie er sagte, den Polizisten mitzuteilen, daß kein Handel zustande gekommen sei, worauf der Dealer heftige Drohungen auszustoßen begann.

Am Ortseingang setzten wir ihn ab und fuhren, so schnell es ging, in Richtung unseres Herkunftsortes, al-Hoceima. Doch nicht schnell genug. Nach kurzer Zeit tauchte hinter uns ein schwarzer Mercedes mit drei männlichen Insassen auf, der sich bemühte, Stoßstangenkontakt mit uns zu halten. Die Landstraße war knapp zweispurig und äußerst kurvenreich, auf der einen Seite erhob sich steil ein Berg, auf der anderen ging es ebenso rapid einen Abhang hinunter. Wir rasten um unser Leben. Die Bremsen quietschten und begannen bald zu stinken. Unser marokkanischer Begleiter hatte die Süße von Verwandtschaftsbeziehungen vergessen und trieb den Fotografen am Steuer zu immer größerer Eile an: „Das sind Banditen“, schrie er, „fahr, fahr!“ Einmal gelang es unseren Verfolgern, uns in einem halsbrecherischen Manöver zu überholen: Sofort machten sie eine Vollbremsung und öffneten beide Wagenschläge, um die Straße zu blockieren, doch irgendwie schlängelte sich unser Gefährt an ihnen vorbei. Vorschläge, an irgendeinem Polizeiposten anzuhalten, lehnte unser Bekannter kategorisch ab: Man müsse bis hinter sein Dorf fahren, dort sei eine Kontrollstelle mit einem Polizisten, der in Ordnung sei. Bis dahin müßten wir kommen.

Es war ein Gefühl der Rechtlosigkeit. Wir durften nicht hoffen, in einem der kleinen Weiler, durch die wir rasten, Beistand zu bekommen: Schließlich lebten hier alle von dem Zeug und waren sicher eher mit den Einheimischen solidarisch als mit Ausländern. Auch das Vorgehen der Polizei in Ketama war nicht gerade dazu angetan gewesen, Vertrauen zu erzeugen. So bretterten wir, so schnell es ging, der rettenden Stadt al-Hoceima entgegen. Vielleicht eine Stunde, vielleicht drei, der Weg schien nie zu enden.

Irgendwann erreichten wir dann doch die angepeilte Wegkreuzung, an der zwei Polizisten in einem Patrouillenwagen saßen. Wir hielten abrupt an, die Limousine hinter uns schleuderte, bevor sie zum Stehen kam, und aus stiegen der wohlbekannte Dealer, ein unbekannter Fahrer und, zu unserem großen Erstaunen, der Gemeindeangestellte von Ketama. Sie hätten uns beschützen wollen, erklärte der Gemeindeangestellte, der inzwischen erblaßt war ob des unerwarteten Endes der Verfolgungsfahrt. Doch der Offizier der Kontrollstation schenkte ihm keinen Glauben und legte ihm nahe, wenn ich das richtig verstanden habe, in Zukunft den eigenen Einzugsbereich nicht zu überschreiten.

Angesichts der Schwere des Vorgangs wurden wir nach al-Hoceima beordert. Noch auf dem Weg dorthin in Polizeibegleitung versuchten unsere Verfolger vergeblich, uns zur Zahlung von Bestechungssummen an die Polizisten zu veranlassen, um die Sache vom Tisch zu haben. In der Gendarmerie von al-Hoceima hieß es erst mal warten. Als die Nacht hereingebrochen war, wurden wir von mehreren Herren in Zivil, die sich nicht vorstellten, verhört und um Geduld gebeten, man müsse unsere Angaben in Rabat nachprüfen lassen. Unser Wagen wurde unterdessen nach bewußtseinserweiternden Substanzen abgesucht. Unseren Verfolgern wurden ebenso wie unserem Bekannten Gürtel, Schnürsenkel und Geld abgenommen, und sie landeten gemeinsam in einer lichtlosen Zelle, die direkt neben den intensiv stinkenden Toiletten lag. Unser Einwand, unser Bekannter gehöre zu den „Guten“, wurde nicht weiter zur Kenntnis genommen.

Spät in der Nacht wurden wir erneut ins Büro gerufen. Der Ton war zuckersüß, man entschuldigte sich für die Unannehmlichkeiten, machte uns milde Vorwürfe, daß wir für unseren Besuch in Ketama keine offizielle Begleitung erbeten hätten, bat uns, von einer Anzeige Abstand zu nehmen, da unseren Verfolgern ohnehin nichts nachzuweisen sei, und legte uns nahe, auf eine weitere Reportage über Ketama zu verzichten – das sei eben ein etwas heikles Pflaster. Unser Bekannter müsse leider noch eine Weile in der Zelle bleiben, da seine Papiere überprüft werden müßten.

Am nächsten Morgen, einem Sonntag, standen wir erneut in der Gendarmerie, um die Freilassung unseres Bekannten zu erwirken. Das Gebäude war menschenleer, nur eine Wache saß gelangweilt herum und versicherte, für eine Freilassung nichts unternehmen zu können. Nach mehreren Stunden des Wartens und Insistierens kam schließlich ein Verantwortlicher und ließ alle Beteiligten frei.

Vor einem Jahr ist erneut eine Antihaschischkampagne im Rif eingeleitet worden, mit Beihilfe der EU. Seither wird Ausländern noch dringender angeraten, das Gebiet zu meiden. Antje Bauer