: Dubber der Apokalypse
Kranke Sounds aus dem Bauch der Metropole: Illbient heißt das musikalische Gegengift zum sozialen Abstieg in Brooklyn und anderswo. Ein Teil der New Yorker Szene um das WordSound-Label kommt jetzt auf Tour ■ Von Martin Pesch
Was ist denn Illbient jetzt schon wieder? Ist diese seit einigen Monaten kursierende Bezeichnung für Musik aus New York nur ein flotter Genrename? Kampfbegriff derer, die ihren müden Beats und Soundcollagen neue Relevanz geben wollen?
DJ Spooky, prominentester Vertreter der Illbient-Fraktion und kürzlich auf Tournee durch deutsche Clubs, kommt seiner gewohnten Eloquenz zum Trotz auch nicht viel weiter: „Der Begriff Illbient ist schon sehr nebulös.“ Gleich darauf ergänzt er: „Aber er muß auch nebulös sein. Denn diese Musik ist vollkommen neu, und das erste Wort dafür muß unklar bleiben. Ich betrachte das positiv.“
Ill – inzwischen nur noch unzureichend als krank zu übersetzen – taucht seit einigen Jahren insbesondere im HipHop auf. Nas nannte seine Debüt-LP „Illmatic“, die Beastie Boys eine ihrer Platten „Ill Communication“, und der frühere De-La-Soul-Produzent Prince Paul – kürzlich mit seinem Soloprojekt ebenfalls unterwegs in Deutschland – gibt gerne die Parole aus: „The iller, the better.“ Skiz Fernando, Chef des Brooklyner Labels WordSound – demnächst mit mehreren Künstlern bei uns zu Gast –, versteht die oft angeführte illness als rohen Klang, als Nichtperfektion – und genau so klang 1995 die mit „The Illness“ betitelte LP seines Projekts Spectre.
Da gruppieren sich um ein kleines Wörtchen unterschiedliche Bestrebungen. Die wichtigste folgt dem Empfinden vieler nichtweißer US-MusikerInnen, daß ihre Musik auf die Situation der immer ärmer werdenden Milieus, aus denen sie meist stammen, reagieren müsse. Das ist die Maxime von HipHop. Nas' Neologismus illmatic würde dementsprechend die Musik als Umwandler begreiflich machen: Wie zeige ich die als krank empfundenen Lebensumstände, ohne sie künstlerisch zu überhöhen?
Dabei spielt eine Rolle, sich der sozialen Situation nicht auszuliefern, sondern sie sich nach eigenen Bedingungen aneignen zu wollen. Am Begriff nigger hat HipHop die Wiederaneignung eines diskriminierenden Begriffs durchexerziert. Die vielfältig benutzte Bezeichnung ill könnte man so als Versuch verstehen, das diskriminierende Außen in die eigene Produktion zu holen. Und die kann dann eben nicht zu Schönklang werden.
Eben das ist zur Zeit noch den Projekten vorzuwerfen, die sich unter dem Titel „Illbient“ formieren, einem Neuwort aus illness und Ambient. Ambient geht bekanntlich auf Brian Eno zurück. Ihm ging es 1980 bei seiner Definition eines Genres darum, einen „psychoakustischen Raum“ zu schaffen. Die Illbient-MusikerInnen nehmen das auf, erweitern es aber mit urbanem Material und definieren insbesondere die Rolle der ZuhörerInnen neu. Ihnen – und das ist der Grund, warum diese Musik New Yorker Ursprünge hat – geht es um das Hörbarmachen der architektonischen und akustischen Situation in den Metropolen. Der verdichteten und als beängstigend empfundenen Architektur entsprechend, schichten sie die Sounds übereinander und sehen insbesondere im Bass eine Metapher für den zusammengepreßten großstädtischen Raum. Angereichert wird das mit allem, was der hergibt.
Von Autogeräuschen bis zu den Trommelwirbeln entlegenster afrikanischer Stämme, die im Radio zu hören sind. Die einzelnen Tracks oder live präsentierten DJ-Sets sollen im Gegensatz zu Enos isolationistischem Konzept einen Raum schaffen, der es ermöglicht, über die alles integrierende Musik eine alle einschließende soziale Situation herzustellen.
DJ Spooky macht dementsprechend die Anti-Club-Haltung von Illbient stark: „Da draußen sind so viele Leute, die sich nicht mit den Identifizierungen von herkömmlichen Clubs abfinden. Egal ob HipHop oder House: es wird dir vorgeschrieben, wie du aussehen und was du anhaben mußt.“
„Illbient is aggressively inclusive“, sagt AK Atoms, Mitglied des New Yorker Soundkollektivs Byzar. Das zeichnet sich nicht nur durch eine Vorliebe für den Buchstaben Y aus, was Stücktitel wie „Phylyx“ und „Ynjyn“ beweisen, sondern ist auch auf der Compilation „Incursions in Illbient“ (Asphodel/Efa) vertreten. Leider kann man nicht umhin, der darauf präsentierten Musik ausgeprägte Schlaffheit vorzuwerfen. Daß aus Ambient und ein paar Dopebeats Illbient geworden ist, liegt wohl hauptsächlich am inzwischen medial vermittelten Überbau.
Einen Überbau hat das WordSound-Label auch. Im Gegensatz zur Illbient-Fraktion in Manhattan machen die Leute um Skiz Fernando in ihren Kellern in Brooklyn wirklich interessante Musik. Sie bewegen sich zwar auch im Dub- Kontext und können sich dabei auf die fachliche Unterstützung von Bill Laswell stützen, aber sie pflegen einen entschlosseneren Zugriff auf das musikalische Material. In ihren regelmäßig als Presseinfos getarnten Kommuniqués kultivieren sie zudem eine militante Haltung. Sie gehen von der Richtigkeit aller Verschwörungstheorien aus und schalten Nostradamus kurz mit McLuhan.
Das würde schnell bloßes Getue, wenn sie diese Haltung nicht musikalisch umsetzen könnten. Dem Resümee einer schon etwas älteren in der taz veröffentlichten Rezension von WordSound-Platten ist auch heute nichts hinzuzufügen: Es gibt derzeit wenig andere derart radikale Musik.
Vergleichbar ist sie inzwischen – auch wenn der Sound ein völlig anderer ist – mit bestimmten britischen Drum 'n' Bass-Produkten. Wie diese sind auch die Platten aus Brooklyn von einer Dunkelheit geprägt, die von ihren Machern gerne mit dem kurz bevorstehenden Weltuntergang erklärt wird. Die zusammengezurrten Fragmente in ihren Tracks werden von der inzwischen sprichwörtlichen Pre- Millennium-Tension zusammengehalten. Die Mediävisten haben erforscht, daß unsere Artgenossen vor genau 1.000 Jahren Unwetter, Tode in der Herrscherfamilie, Seuchen und andere gehäuft vorkommende Unbill als Vorzeichen des zur Jahrtausendwende kommenden Jüngsten Tages deuteten. Die Zivilisation hat immerhin bewirkt, daß wir mit einem Schirm auf die Straße gehen und unsere Angst im Plattenladen abholen.
Das WordSound-Label ist mit folgenden Künstlern unterwegs: Spectre, Dr. Israel, Word I-Powa, Qaballah Steppers. Termine: 22.3. Marburg, 24.3. Hamburg, 25.3. Berlin, 29.3. Hannover, 30.3. Dresden, 31.3. Nürnberg, 6.4. München, 7.4. Frankfurt, 9.4. Stuttgart, 10.4. Heidelberg, 11.4. Freiburg, 15.4. Köln, 16.4. Münster, 17.4. Greifswald, 18.4. Krefeld, 24.4. Konstanz, 25.4. Frankfurt, 26.4. Trier
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen