Der Funke der Rebellion ist nicht übergesprungen

■ Die Albaner in Makedonien und im Kosovo reagieren erstaunlich gelassen

Priština (taz) – Wer die Bilder von fliehenden Albanern in Italien vor Augen hat, wundert sich an der östlichen Grenze Albaniens. Denn hier gibt es keine Flüchtlinge. Die makedonischen Zöllner der Grenzstation nahe dem Ohrider See mustern mit Ferngläsern die Gebäude der albanischen Seite. Doch dort ist niemand zu sehen, die Gebäude sind leer und verlassen. Erst nach geraumer Zeit bewegen sich zwei Gestalten auf die makedonischen Zöllner zu. Die kontrollieren die Pässe der Reisenden. Der Mann und ein Junge stammen aus Tirana. Die beiden können weiterreisen. Makedonien hält die Grenze nach Albanien offen. Niemand befürchtet eine Massenflucht von Albanern.

Die beiden sind in Bussen und Privatfahrzeugen bis an die Grenze mitgenommen worden. Als muslimischer Priester wurde der Mann auch von den Rebellen, die alle Städtchen und Dörfer jenseits der Grenze kontrollieren, respektiert. Versuche von Journalisten, den Weg umgekehrt zu nehmen, sind bisher gescheitert. Autos und Ausrüstungen wurden von den Rebellen konfisziert.

Am Ohrider See leben mehrheitlich Albaner. In Makedonien machen sie fast 40 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Richtung Norden erstreckt sich ihr Siedlungsgebiet, nach Tetova, der zweitgrößten Stadt des Landes. In allen Cafés dröhnen Radios und Fernseher. „Wir wissen aber nicht mehr als sie auch“, sagt ein Cafébesitzer. Albanien, das war für diese Menschen schon immer das fremde, unbekannte Land jenseits der schneebedeckten Berge, die von Tetova aus gut sichtbar die Grenze markieren.

Nur wenige Kilometer nördlich Tetovas verläuft die serbisch-makedonische Grenze, die Grenze hin zu Kosova. 90 Prozent der Bevölkerung sind Albaner, die sich seit Jahren gegen die serbische Herrschaft auflehnen. In den nahe gelegenen Städten Przren und Pec liegt die Wiege der serbischen Kultur ebenso wie die des neuzeitlichen albanischen Nationalbewußtseins. In Przren stehen alte orthodoxe Kirchen neben prächtigen Moscheen. Hier ist auch das Zentrum der albanischen katholischen Christen, der Geburtsort von Mutter Teresa. Und auch in Przren wundern sich die Leute über die Ereignisse in Albanien.

„Wir wissen kaum etwas“, sagt Ibrahim, ein Lehrer, der in einer der Untergrundschulen albanische Kinder unterrichtet. Seit 1991, seit die serbische Regierung die albanische Mehrheitsbevölkerung des Kosovo aus dem öffentlichen Leben verdrängt und zwingen will, Serbisch als Sprache Kosovos zu akzeptieren, ist ein paralleles albanisches Schulsystem aufgebaut worden. „Wir haben unsere eigenen Sorgen“, pflichtet ihm ein Freund bei, „wir Albaner leben hier in einem Apartheidsystem und sind fast aller Rechte beraubt.“ Die Krise in Albanien mindert ihre Hoffnung, im „Bruderland“ Unterstützung im Kampf um Gleichberechtigung und Unabhängigkeit zu finden.

Kaum 30 km von Przren entfernt befindet sich ein anderer Grenzübergang nach Albanien. Die serbischen Zöllner stehen gelangweilt herum. Auf der anderen Seite der Grenze sind albanische Bewaffnete, unter ihnen Polizisten, zu sehen. Die Serben haben bislang nicht einmal die Grenzpolizei verstärkt. Zwar könnten über die unwegsamen Pfade der Berge Flüchtlinge einsickern, geben sie an, doch bisher sei nichts Außergewöhnliches zu beobachten. Und die albanischen Posten, die sich weder als Rebellen noch als regierungstreu zu erkennen geben, schließen sich diesem Urteil an. „Hier gibt es keine Flüchtlinge.“

Auch in der Hauptstadt Kosovas sind die Albaner mit Urteilen über den Konflikt zurückhaltend. Die Führung der Demokratischen Partei des Kosovo – nicht identisch mit der Berisha-Partei in Albanien – hofft, daß der Konflikt bald gelöst wird. Denn die „Destabilisierung Albaniens berührt unsere Interessen“, sagt Dr. Fehmi Agani, der Vizepräsident der Partei. Albanien könne in diesem Zustand den Freiheitskampf im Kosovo nicht mehr unterstützen. Dennoch bleiben die Politiker hier gelassen. Während der kommunistischen Herrschaft waren jegliche Beziehungen zu dem Land jenseits der Berge abgebrochen. „Wir waren schon immer allein auf uns gestellt“, sagt Hilmi Igani, Mitglied der Menschenrechtskommission der Kosovo-Opposition. Erich Rathfelder