Scherbenhaufen nach der Wahl

Günther Verheugen denkt nach seiner Abwahl aus dem SPD-Fraktionsvorstand über einen Abschied aus der Bonner Parteipolitik nach  ■ Von Jan Feddersen

Berlin (taz) – Nein, um einen Fall fehlenden Stallgeruchs handele sich es nicht. Und keineswegs ging es darum, einen verdienten Außenpolitiker von einem prominenten Posten zu schubsen. Auch die von der Süddeutschen Zeitung geäußerte Annahme, die Entscheidung der SPD-Bundestagsfraktion sei „wunderlich“, erntete bei nämlichen Sozialdemokraten im Bonn kein zustimmendes Kopfnicken. Trotzdem herrscht Ratlosigkeit, nachdem am Dienstag bei den Wahlen zum SPD-Fraktionsvorstand Günther Verheugen nicht mehr die erforderliche Mehrheit für einen der fünf Sitze erhielt: Man sucht nach Erklärungen.

Mehr noch: Das Wahlopfer hat in der SZ darüber spekuliert, nun gänzlich aus der Politik auszuscheiden: „Natürlich ist es nach 32 Jahren Politik nicht gerade eine stolze Bilanz, wenn man sagen muß, jetzt bist du wieder da angekommen, wo du angefangen hast.“ Und: „Da stellt sich die Frage, noch etwas ganz anderes zu machen.“ Bei der SPD ist man nun um Schadensbegrenzung bemüht. Man buhlt um Verständnis für eine „demokratische Wahl, bei der der Usus galt, keine Stimmempfehlungen“ (SPD-Sprecher Sten Martinson) vor dem Wahlgang zu geben.

Was so schwierig zu erklären fällt, ist dies: Mit Günther Verheugen wurde einer der profiliertesten außenpolitischen Experten der SPD auf den Status eines einfachen Bundestagsabgeordneten heruntergestuft. Im Fraktionsvorstand selbst sitzen nunmehr lediglich Parlamentarier, die sich, so ein Mitglied des neuen Fraktionsspitzengremiums, „vorwiegend um die drängenden Fragen der Republik“ kümmern können: Leute wie Rudolf Dreßler (128 Stimmen) oder der neugewählte Ottmar Schreiner (135 Stimmen), Politikerinnen wie Ingrid Matthäus-Meier (181 Stimmen) oder Anke Fuchs (mit 198 Stimmen das beste Resultat). Auch Otto Schily schaffte noch den Sprung in die Fraktionsspitze. Allesamt sind das Leute, die sich, schaut man sich deren Arbeitsgebiete an, in erster Linie mit arbeitsmarkt-, finanz- und sozialpolitischen Fragen profiliert haben, den „Schwerpunktthemen“ bis zu den Bundestagswahlen, so Fraktionssprecher Martenson.

Nur ein Platz blieb somit übrig für einen, der aus der traditionellen SPD-Wahrnehmung von Wirklichkeit herausfallen würde – Otto Schily oder Günther Verheugen. Letztlich machte der frühere Grünenpolitiker das Rennen, weil er, so einer aus dem SPD-Bundesvorstand, kürzlich zur umstrittenen Wehrmachtsausstellung eine Bundestagsrede hielt, die bei seinen Fraktionskollegen innige Anteilnahme fand. Verheugen hingegen war hauptsächlich außerhalb der Fraktion präsent – auf außenpolitischen Tagungen, in Expertenrunden und auf Kolloquien.

Am fehlenden Stallgeruch kann es jedoch kaum gelegen haben: Auch Ingrid Matthäus-Meier hat wie Verheugen bis zur Genscher- Wende 1982 in der FDP Karriere gemacht. Daß der SPD nun ein ausgewiesener Außenpolitiker im Fraktionsvorstand fehlt wird nun bedauert. SPD-Sprecher Sten Martenson: „Es wird schwer, auf ihn zu verzichten. Aber ihm ist schon signalisiert worden, daß er an anderer herausragender Stelle tätig werden kann.“