Kein Notstand in Süditalien

■ Rom dramatisiert die Flucht aus Albanien

Italiens Regierung hat für den Südosten des Landes den Notstand ausgerufen. Die Botschaft lautet, daß nur so der „Ansturm“ von Flüchtlingen aus Albanien bewältigt werden könne. Die Notstandsverordnung ermöglicht den Administratoren, Sonderdekrete zu erlassen, Gerichtsverfahren abzukürzen, Gelände und Gebäude zu requirieren, Hilfspersonal zu verpflichten. Damit soll „der Welt“ und insbesondere den Europäern gezeigt werden, wie „dramatisch, ja am Rande der Katastrophe“, so ein Regierungssprecher, die Lage nach der Massenflucht von Albanern nach Süditalien ist.

In Deutschland stößt diese Nachricht auf Unverständnis – zu Recht: Denn nicht mehr als 10.000 Frauen, Kinder, Männer landeten innerhalb der letzten zwei Wochen an Italiens Küste. Von einer Massenflucht kann man da wirklich nicht sprechen, vergegenwärtigt man sich, daß die Bundesrepublik allein rund 320.000 Bürgerkriegsflüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien über Jahre Schutz bieten konnte.

10.000 Menschen – bei Erdbeben hatten die Italiener schon oft gezeigt, daß sie ein Vielfaches an Menschen von einem Augenblick auf den anderen versorgen können. Selbst dann, wenn strenger Winter herrschte. Das Wehklagen über die 10.000 registrierten Flüchtlinge (die nochmals rund 10.000 Illegalen sind kein Kostenfaktor, weil sie im Untergrund leben) scheint da schon eine rechte Übertreibung. Im Ausland verfängt die Panikmache allzuleicht, da sie sich auf ausdrucksstarke Fernsehbilder stützen kann. Die maroden Kähne scheinen sich gerade noch über Wasser halten zu können.

Kein Zweifel, daß die Menschen auf den Schiffen zum allergrößten Teil in schwerer Not sind. Kein Zweifel auch, daß Albanien ein gesamteuropäisches Problem ist, daß auch alle anderen Staaten hier mithelfen müssen, die Dinge wieder ins Lot zu bringen. Doch angesichts der derzeitigen Lage muß man der italienischen Regierung unterstellen, daß sie die durchaus undramatische Situation ausnutzt – mit dem Ziel, Hilfsgelder ins Land zu locken, wie frühere Administrationen das auch getan haben.

Eine bessere Gewähr als damals, daß diese Gelder nicht doch wieder in die falschen Hände geraten, ist leider immer noch nicht gegeben. Werner Raith

Bericht Seite 9