Backpulver mit Essigessenzen

■ Der alljährliche Frühjahrsputz kann auch auf umweltfreundliche Weise erledigt werden / Ein ambitionierter Selbstversuch mit Essig, Sand und der taz von gestern pünktlich zum Frühlingsanfang beweist es / Auch alte Hausrezepte haben ihren wahren Kern

Frühmorgens aus dem Bett gequält. Was ist heut' los? Der Kalender verrät es gnadenlos: Frühlingsanfang! Frech glitzert die Sonne durch die Fensterscheiben, wenn man sie als solche bezeichnen darf. Denn auf dem sonst so sauberen Glas zeigen sich plötzlich unangenehme, schwarze Streifen. Ein unhaltbarer Zustand, findet jedenfalls meine Nachbarin von Haus sieben. Gnadenlos rückt sie den Fenstern bereits am frühen Morgen mit Meister Propper und Fridolin Fix Streifenfrei zu Leibe. Es ist ein Putzanfall, der die gute Frau gerade befällt – so jedenfalls würden es leidenschaftslose Gemüter bezeichnen. Anfälle sind keine schöne Sache – und können sogar gefährlich sein. Schließlich wird bei dieser Putzattacke nicht gerade an ätzenden und umweltschädlichen Giften gespart.

Nennen wir die Handlung jedoch schlicht „Frühjahrsputz“, hört sich das Ganze schon weniger gefährlich an. „Ökologischer Frühjahrsputz“ist die noch sanftere Variante – denn auch ohne C-Waffen werden Fenster, Klo oder Gardinen wieder sauber und rein. Der Selbstversuch beweist es.

Nehmen wir zunächst die Fenster. Wichtig, wichtig – schließlich fressen sich die ersten Sonnenstrahlen durch den Schmutz längst vergangener Wintertage. Die Mixtur ist schnell gemacht. Ein kleiner Eimer mit zwei Liter reinem Wasser, dazu ein dicker Schuß Essig, ein gutes Leder und dann ordentlich wischen und kreisen. Wenn der erste Dreck weg ist, kann die taz von gestern noch gute Dienste leisten. Wer sie aus dem Altpapierkarton rettet, kann sie zu einem Ball knäulen und damit die Scheiben trocknen.

Auch verrauchte Gardinen können von einem ökologischen Frühjahrsputz profitieren. Ganz ohne Bleichmittel – aber Tenside müssen leider sein. Sie gibt es auch auf pflanzlicher Basis. Also: Gardine ab in die Maschine. Ein paar Tenside oben in den Zulaufschacht, Weichspüler sind ohnehin tabu und selbst den Enthärter kann man sich eigentlich sparen.

Doch etwas Wichtiges dabei fehlt noch, um die Gardinen auch ohne Chemikalien so richtig weiß zu machen. Molkepulver bietet sich hier an. Das ist zwar ökologisch, aber wirklich rein wird es damit auf keinen Fall. Auch der Duft, vergleichbar mit modernder Pappe, stößt eher ab. Da sollte es besser der Tip einer guten Freundin sein: Backpulver lautet das Zaubermittel mit dem es einfach funktionieren muß. Noch mal auf – die Klappe für den Zulaufschacht. Ein Päckchen Backpulver hinein, ein kleines Duftwässerchen und Essig statt der Feinwaschmittel beigemengt, und schon dreht sich die Trommel. Das dauert jetzt eine Weile. Na, hoffentlich geht die Gardine nicht so auf wie Omas letzter Kuchen.

Dafür ist jetzt Zeit für das Bad. Die Armaturen sind mit Zahnpasta und Rassierschaum beschmiert. Von Glanz ist hier eher nicht zu sprechen. Die Badewanne hat wohl auch bessere Tage erlebt, nur dem Plastikhai im abgelaufenen Bassin scheint es egal zu sein. Ein kurzer Weg zum Ökoladen nebenan kann auch hier für wertvolle Tips sorgen. Matthias verkauft gerade Korn und Obst. „Kein Problem“, sagt er, „Essig, Seife, Sand – damit hat selbst grober Dreck keine Chance“. Wenn das die Marketingchefin eines Chemiegiganten gesagt hätte, wäre sie im hohen Bogen aus der Zentrale geflogen und müßte mit Schrubber und Kehrblech durch die Gegend ziehen. Doch Matthias weiß Bescheid und schiebt ein Paket Sodasan-Kernseife, auf pflanzlicher Basis hergestellt, sowie namenlose Essigessenzen über die Holztheke. Beim Preis glaubt man kaum, daß es sich um Seife, Sand und Wasser handelt. „Jetzt hast Du alles, was man zum Frühjahrsputz braucht!“sagt Matthias und widmet sich wieder seinem Obst.

Viel hilft viel. Sagt man so und zweifelt zunächst, ob ein Stückchen Kernseife für die Badewanne und das Klo ausreicht. Doch wer jetzt Wasser heißmacht und die Seife einige Minuten eintunkt, dann etwas Essigessenz in die Lauge kippt, wird eines Besseren belehrt. Minuten vergehen, während die eine Hand schrubbt, hält die andere mit beiden Fingern die Nasenflügel zu. Denn es riecht etwas streng. Gespannt auf das Ergebnis wird zur Spültaste des Klosetts gegriffen. Das Wasser rauscht und hinterläßt ein funkelnagelneues Becken. So schön war es noch nie.

Maik Günther