Arbeit, Essen, Spielhalle

■ Der 27jährige Ersan ist seit Jahren Stammkunde in einer Neuköllner Spielhalle. Nachdem er 150.000 Mark verspielt hat, weiß er jetzt: "Wer regelmäßig spielt, kann nur verlieren"

„Sie gewinnen, Monsieur“, tönt eine Frauenstimme aus dem Spielautomaten. Damit auch die anderen im Raum die Kunde vom Glück des Spielers erhalten, verkündet die Stimme kurz darauf „Wir haben einen Gewinner!“ Die Handvoll blecherner Chips, die der Punktspielautomat ausspuckt, kommentiert die kräftige rothaarige Frau mit einem müden „charoscho“. Die russische Frau gehört zum Aufsichtspersonal in einer der 43 Spielhallen in Neukölln. Umgeben von vielen russisch und türkisch und einigen wenigen deutsch sprechenden Spielern verbringt sie einen Großteil ihrer Arbeitszeit beim Spielen an Automaten, an denen man auf Pferde setzen, Banken überfallen, Black Jack spielen oder wilde Motorradrennen fahren kann.

Ersan, der neben ihr sitzt, findet Punktspielgeräte eigentlich langweilig. Geldspielautomaten sind viel spannender. Trotzdem sitzt der türkische Schlosser vor einem dieser Geräte, deren Lämpchen nur von Chips zum Leuchten gebracht werden. Eingehüllt von dicken Qualmwolken versucht er, an die „Crown Jewels“ ranzukommen. Ab und an reckt er sich und dehnt den rechten Arm. Seit fast drei Stunden füttert er die Maschine mit Chips. „An Geldspielautomaten gehe ich nicht mehr ran“, sagt Ersan. „Jede Mark, die man reinsteckt, ist für nix.“

Ersan weiß, wovon er spricht. Er ist zwar erst 27 Jahre und doch zählt er zur Stammkundschaft. Als er das erste Mal den Fuß über die Schwelle der Spielhalle in der Sonnenallee setzte, war er 16. Er erinnert sich noch gut daran. „Wenn man noch nicht 18 ist und kommt da rein, fühlt man sich gut“. Spielte er anfangs nur Billard, hatten es ihm bald die verführerischen Geldautomaten angetan. „Während der Ausbildung habe ich meinen ganzen Verdienst dagelassen“, erzählt er. „Ich bin von der Arbeit in die Spielhalle gerannt.“ Als er 1989 seine Schlosserausbildung beendet und plötzlich 5.000 Mark netto verdiente, von denen er zu Hause keinen Pfennig abgeben mußte, gab es kein Halten mehr. Bis 1991 hat er pro Jahr im Schnitt 35.000 Mark verspielt. „Übern Daumen gepeilt, habe ich 150.000 Mark weggezockt“, rechnet er nüchtern zusammen.

Danach ist er fast ein Jahr lang nicht mehr in die Spielhalle gegangen und hat statt dessen Fußball, Darts und Billard in Kneipen gespielt. Doch irgendwann, eine Billardkneipe war überfüllt, landete er wieder in der Spielhalle – und fing wieder an. Jetzt ist er im Schnitt dreimal die Woche in dem schummrigen Laden in der Sonnenallee. „Ich spiele aber mehr Billard und um Punktgewinne“, sagt er, und es klingt ein wenig nach Selbstbetrug. Wenn er für dreißig Mark Chips verspielt hat – ein Chip kostet zehn Mark und ist einhundert Punkte wert, und in einigen Läden werden sie unerlaubterweise gegen Bares eingetauscht – ertappt er sich manchmal bei dem Gedanken „Hätte ich die doch am Geldautomaten verspielt. Weg sind sie sowieso.“

Etwa sechzig Mark gibt Esran jetzt im Schnitt die Woche für das monotone Freizeitvergnügen aus. „Wenn man seine Freizeit nicht richtig gestalten kann“, rechtfertigt er sich, „wird es alltäglich: Arbeit, essen, Spielhalle.“ Um endgültig mit dem Spielen aufzuhören, brauche er „einen klaren Kopf“. Und den habe er zur Zeit nicht.

„Man denkt immer, es ist keine Sucht“, sagt Esran über das Spielen. Daß auch er diesem Selbstbetrug erlegen ist, weiß er mittlerweile. Trotzdem findet er immer wieder Gründe, um die Spielhalle aufzusuchen. „Bei Frust fühlt man sich besser. Man vergißt alles, als wenn man besoffen ist“, sagt er. Es sei einfach angenehm, nicht denken zu müssen. Außerdem sei es oft schwer, als Türke in Diskotheken reinzukommen. Irgendwann werde Fußball langweilig, und dann sei der Weg in die Spielhalle eben einfacher. Auch „das Drumherum“ in der Spielhalle ist für Esran wichtig. Er kennt die Angestellten und die meisten der Spieler. „Meine Mutter sagt mir immer, dein Zuhause ist ein Hotel, die Spielhalle ist dein Zuhause.“ Dem widerspricht er nicht.

Aber „das Faszinierende“ sei, erzählt Esran weiter, daß man alles riskieren kann. Mittlerweile wäre er froh, wenn es gar keine Geldspielgeräte mehr geben würde. „Wenn man regelmäßig spielt, kann man nur verlieren.“ Barbara Bollwahn