■ Wilhelm Reich zum 100.
: Sexualpionier und Paranoiker

Er hat nackte Liebespaare verkabelt – unter anderem Willy Brandt mit Partnerin in Norwegen –, er hat Wolkenbrechermaschinen gebastelt und sogenannte Orgon-Akkumulatoren: Die Energie des Lebens gegen die negativen Kräfte einzusetzen, gegen Krankheit, soziale Unterdrückung und „emotionelle Pest“, gegen Dürre und Umweltzerstörung – das war die universale Vision Wilhelm Reichs.

Reich, 1897 in Galizien/Österreich-Ungarn geboren, war mit 17 Vollwaise, mit 22 Analytiker in Wien und Freuds Liebling, später Sexpol-Aktivist in Berlin, Körpertherapeut im Exil in Oslo, Naturforscher, Erfinder und schließlich Antikommunist – in den USA.

Drei Ehen, drei Kinder, etliche Liebschaften. In fünf Ländern war er unerwünscht, die SPD, dann die KPD und auch die Psychoanalytische Vereinigung brachen mit ihm. Während die frisch etablierte Analytikerszene um Freud zunehmend den Wert der Sublimation hervorhob, eckte Reich mit seinem Therapieziel der „orgastischen Potenz“ an. Damit meinte er nicht bloß den Koitus, sondern eine lustvoll erlebte Sexualität für Mann und Frau mit der Fähigkeit zur vollständigen Entladung.

An Therapiewilligen hat es Reich nie gemangelt. Den Anfeindungen in Europa wollte er entgehen und suchte 1939 die Freiheit in den USA. Dort konzentrierte sich seine Forschung auf eine Energie in der Atmosphäre, die er „Orgon-Energie“ nannte. In Kabinen mit einer äußeren Schicht aus Holz oder sonstigem organischem Material und einer inneren Schicht aus Metall versuchte er sie zu akkumulieren. Doch im engen geistigen Klima der McCarthy-Ära wurde Reich als Quacksalber verfolgt.

Brillanter Analytiker und Sexualpionier in jungen Jahren, später größenwahnsinniger Forscher – das ist das vorherrschende Bild von Wilhelm Reich. Seine letzte Ehefrau und engste Mitarbeiterin, Ilse Ollendorff, stieg aus, als er gegen UFOs kämpfte – 1954, drei Jahre vor seinem Tod in einem amerikanischen Gefängnis. Fest steht, daß Reich zum Schluß paranoid war, aber er war auch dahin getrieben worden. Das Namensschild „Orgonon“ vor seinem Forschungsgelände in Maine war von Kugeln durchlöchert, auf seinen Sohn ist geschossen worden. Hinzu kam eine beispiellose Hexenjagd der staatlichen Behörden gegen seinen Akkumulator – dem schlimmstenfalls Wirkungslosigkeit unterstellt werden kann. Erst in den Sechzigern begannen Reichs Schriften wie „Die sexuelle Revolution“ wieder zu kursieren – als Raubdrucke. Heute berufen sich Atem- und Körpertherapeuten auf Grundideen Reichs, etwa Alexander Loen und dessen Bioenergetik. Norman Mailer, Saul Bellow, Erich Fromm, Ernest Bornemann und Klaus Theweleit sind direkt von Reich beeinflußt und schrieben jeweils auf ihre Weise gegen Charakter- und Körperpanzer von Patriarchen, Soldaten und Faschisten, die Reich in seiner „Massenpsychologie des Faschismus“ analysiert hatte – heute ein Klassiker der Sozialpsychologie. Beate Strenge

Bild links: Reich wird im März 1957 ins Gefängnis gebracht. Foto: Simon + Leutner