Nur einen Zipfel vom Glück fassen

Nicht immer geht die Gewalt von Kindern oder Mitschülern aus. Bücher über verlorene Mütter und mißratene Väter, die ihre Kinder in Angst und Schrecken versetzen  ■ Von Gabi Trinkaus

In dem Buch „Hula“ ist es der Vater. Der Vietnamkrieg hat ihn als kranken Menschen wieder ausgespuckt. Eine schwere Kopfverletzung hat sein Wesen völlig verändert. Während die Mutter sich oft weinend ins Schlafzimmer zurückzieht, suchen sich die beiden acht- und zwölfjährigen Töchter ihre Verstecke im Garten.

Es gelingt ihnen nie, das Gefühl der Bedrohung vor diesem unberechenbaren und gewalttätigen Vater abzuschütteln. Über allem liegt eine Schicht aus Angst und Trauer. In der Hitze des Sommers kocht die Situation ins Unerträgliche. Schließlich schafft es die Mutter, die Situation zu klären. Sie flüchtet mit ihren Töchtern nach Waikiki. Ohne Vater ist das Paradies überall. Es wird nicht klar, warum der Mutter der Schritt so schwer fällt. An dieser Zustandsbeschreibung ist das Wichtigste die Auflösung. Der Blick in die fremde Welt ist so traurig, daß man die Tür gerne wieder zumacht.

Weite Wege

„Someone came knocking / at my wee small door / Someone came knocking / I'a sure-sure-sure.“ Dieses Lied war Todds Erinnerung und Zukunft zugleich. An diesem schmalen Hoffnungsschimmer hing sein Leben. Es war alles andere als sicher. Nach dem Tod seiner Mutter war Todd für den Stiefvater nur ein lästiges Anhängsel. Zerlumpt, halb verhungert, geschlagen und gequält fristete er sein Dasein. Um zu Geld zu kommen, beteiligte er sich im Herbst an dem alten Brauch, mit einer selbstgebastelten Puppe betteln zu gehen. Doch sein Gay sah nicht aus wie die anderen. Er hatte ein Mädchengesicht. Leute wurden auf ihn aufmerksam.„Here am I / a poor old Gay / legs in a bonfire / head in the sky.“ Die Pennys klingelten nur so in seiner Tasche.

Zum erstenmal hatte er Geld und damit die Chance, zu fliehen. Er wußte nicht genau, wohin. In seinem Kopf spukten Stimmen und Lieder aus ferner Zeit. Irgendwo hinter einer grünen Tür sang eine Frauenstimme uralte Weisen. „Wenn du mit mir wanderst von hier nach dort, über die Hügel weit, weit fort“ – das war es, dort mußte er hin. Er nahm seinen Gay, der ein Mädchen war, nannte sie Mimosa, und sie machten sich auf den Weg. Viele Monate verbrachten sie miteinander. Sie war, was er einmal gewesen. Sie tröstete ihn mit jenen alten, verschütteten Liedern, Geschichten, Gefühlen. Er war nicht symphatisch. Er konnte sich den Luxus nicht leisten, nett zu sein. Er lernte auf seinem langen Weg quer durch England, daß nicht jeder Mensch ein Feind war. Es gab auch helfende Hände. Doch niemand war so wichtig für ihn wie Mimosa. „Bin ja nur aus Lumpen gebaut, und bald, da werde ich zu Asche und Staub.“ Doch bevor sich ihr Schicksal vollendete, hatte Todd an die grüne Tür geklopft.

Die Problemkiste

Auch für Veit war der Vater das größte Problem. Die Mutter hatte vor langer Zeit die Familie verlassen. Veit mußte sich selber schützen vor dem ewig betrunkenen, arbeitslosen Vater. Natürlich gab es auch in der Schule welche, die ihn fertig machen wollten. Er hatte ein kürzeres Bein und hinkte. Deshalb, so glaubte er, gab es für ihn weder Freundin noch Freund. Selbst seine heimliche Liebe Martina benutzte ihn nur. Sie klaute die Schokolade, wurde erwischt, und er fühlte sich gezwungen, die Schuld auf sich zu nehmen. So rundherum mit Problemen bepackt, machte er aus seinem Zimmer eine Fluchtburg. Hinter abgeschlossener Tür, das Messer griffbereit, flüchtete er sich in die Welt der Bücher. Keiner da, der ihm hilft, da war er sich ganz sicher. So sicher, daß er es gar nicht glauben konnte, als ihm wirklich jemand helfen will. Ein vietnamesischer Junge zeigte ihm behutsam, wie man aus der Opferrolle aussteigt. Langsam bekam Veit auch einen Zipfel vom Glück zu fassen. Nur gut, daß das Verdichten von Problemen in der Realität viel seltener ist als in Büchern.

Lisa Shea: „Hula“. Hanser Verlag, ab 15, 29,80DM

Anne Marrick: „Jemand klopfte an die Tür“. Verlag Freies Geistesleben, ab 12, 28DM

Andreas Venzke: „Veit und ein anderer Tag“. Oetinger, ab 14, 16,80DM