Tabakindustrie im Ascheneimer?

■ Der US-Tabakkonzern Liggett rettet sich durch einen Vergleich vor Massenklagen und übt öffentliche Reue: Er will einen Teil seines Gewinns für Anti-Raucher-Kampagnen und Lungenkranke abführen

Berlin (wps/taz) – Die Raucher der Marke Chesterfield können aufatmen: Der Hersteller ihrer Zigaretten, die Liggett-Gruppe, wird für die nächsten 25 Jahre ein Viertel ihres Gewinns unter anderem für die Behandlung jener Gesundheitsschäden ausgeben, die den Konsumenten durch Inhalieren von Teer und Nikotin entstehen. Außerdem werden sie zumindest auf Chesterfield-Packungen in Zukunft lesen, was vielen selbst seit längerem inmitten der Dunstwolken gedämmert haben dürfte: daß Rauchen süchtig macht und Krebs verursachen kann.

Diese einzigartige Selbstverpflichtung ist Teil eines außergerichtlichen Vergleichs, den der kleinste der fünf Zigarettenhersteller in den USA am Donnerstag mit den Justizministern von 22 Bundesstaaten abgeschlossen hat. Die Einzelstaaten haben alle fünf Konzerne auf Erstattung der Kosten für die Behandlung von Raucherkrankheiten verklagt. Aus der Allianz der Tabakindustrie war die Liggett-Gruppe bereits im März 1996 das erste Mal ausgeschert, als sie einen Vergleich mit fünf Bundesstaaten schloß, der nun auf alle Kläger ausgeweitet wurde. Liggett räumte zudem öffentlich ein, daß die Industrie gezielt Minderjährige durch Werbekampagnen als neue Kunden und Dauerraucher ins Visier nimmt. Daß sich die Firma der Anti-Raucher-Bewegung in den USA im Büßergewand präsentierte, wertete US-Vizepräsident Al Gore als „historischen Sieg für das amerikanische Volk“.

Was die Großen im Geschäft mit dem blauen Dunst ganz besonders am „Verrat“ des Chesterfield- Produzenten empört, ist dessen Bereitschaft, Dokumente über brancheninterne Verhandlungen und Marketingstrategien an die Gerichte zu übergeben sowie eigene Mitarbeiter als Zeugen in zukünftigen Prozessen gegen Marktriesen wie Philip Morris, R.J. Reynolds, Lorillard oder Brown and Williamson aussagen zu lassen. Konkret geht es unter anderem um Vorwürfe an die Zigarettenhersteller, die abhängig machende Wirkung von Zigaretten jahrzehntelang wider besseren Wissens bestritten und – schlimmer noch – durch Manipulation des Nikotingehalts gezielt die Sucht der Raucher verstärkt zu haben. Mit der Liggett-Gruppe, so triumphierte Hubert Humphrey, der als Generalstaatsanwalt den Bundesstaat Minnesota in der Klage gegen die Tabakindustrie vertritt, habe man so etwas wie einen „Straßendealer“ zum Zeugen der Anklage gemacht, mit dem man „jetzt an das große Drogenkartell herankommen kann“. Arizonas Generalstaatsanwalt Grant Woods prophezeite, daß nach Durchsicht der Dokumente Strafverfahren gegen Konzernmanager eingeleitet werden könnten.

Die vier übriggebliebenen Firmen ficht das vorerst nicht an. Ihre hochdotierten Anwälte versuchten noch am Donnerstag, per einstweiliger Verfügung die Herausgabe der entsprechenden Unterlagen an die Justiz zu verhindern. Sie sind entschlossen, den Kampf vor Gericht auszufechten – obwohl allein die Gerichtskosten auf über 500 Millionen Dollar geschätzt werden. Die Kette der Prozesse gegen die Konzerne macht im Juni der Bundesstaat Mississippi. Die Zahl der Kläger wächst unterdessen weiter: Stadtverwaltungen, Gemeinden sowie Privatpersonen vom Ketten- bis zum Passivraucher wollen Philip Morris und Co. für entstandene Unkosten und körperliches Leid schröpfen.

Doch auch die kleine Kellerfahrt von Aktien der Zigarettenindustrie an der New Yorker Börse beunruhigte am Donnerstag in den Vorstandsetagen kaum jemanden. Liggett hält mit zwei Prozent einen extrem kleinen Marktanteil; die Großen haben die massive Anti- Raucher-Kampagne in den USA problemlos durch verstärkte Expansion auf ausländischen Märkten wie zum Beispiel Asien kompensiert, wo Rauchen noch so chic ist wie im Amerika der vierziger und fünfziger Jahre, als Ronald Reagan mit einer Chesterfield im Mundwinkel von den Werbeplakaten herablächelte. anb