Trommeln, trommeln, trommeln

Gesichter der Großstadt: Saeed Ibrahim floh als Kind aus Eritrea vor dem Bürgerkrieg. Der Schlagzeuger arbeitet heute beim „HipHop-Mobil“  ■ Von Nathalie Daiber

„Please, go away, please, go away... plea... ach, Scheiße!“ unterbricht die 15jährige Yasmine ihren Gesang. Sie hat den Text vergessen. „Ihr müßt mehr auf die Musik achten. Dein Einsatz war falsch“, sagt Saeed Ibrahim, Tontechniker und Produzent beim HipHop-Mobil.

Diesmal zählt er den Takt vor: „Eins, zwei, drei“ und versucht, Yasmine und Anisa wieder zu motivieren. Schon seit zwei Stunden üben die beiden Schülerinnen im festen Sitz des Jugendprojekts in Kreuzberg.

Das Studio ist klein, Computer, Mischpult, ein ganzer Turm von Tapedecks und CD-Player sowie ein Keyboard drängeln sich in dem Raum. Die beiden Mädchen zappeln leicht entnervt vor den zwei Standmikrofonen rum. Sie können nicht mehr stehen.

Ganz normale Jugendarbeit für den 27jährigen Saeed, dessen Geduld und fröhliche Ausgeglichenheit bemerkenswert ist. Mit 16 Jahren ist er mit seiner ein Jahr älteren Schwester aus Eritrea über Ägypten nach Berlin geflohen. „Es war furchtbar. Wir waren das erste Mal ohne meine Mutter und meine Geschwister, ganz allein“, erzählt er. Seinem Optimismus hat das nichts anhaben können.

Der Schlagzeuger und seine Schwester kamen in ein Flüchtlingsheim in Alt-Mariendorf, und „das war so das Schlimmste, was ich erlebt habe. Es gab damals keine Betreuer oder Sozialarbeiter. Niemand, der sich um uns Jugendliche gekümmert hätte. Nicht so wie heute.“ Saeed weiß, wovon er redet. Das HipHop-Mobilteam arbeitet nicht nur mit Jugendlichen in Schulen und Jugendzentren, sondern auch in Flüchtlingsheimen.

Schlechte Erinnerungen und unliebsame Gefühle werden bei Saeed durch diese Touren nicht geweckt. Überhaupt bringt ihn so schnell nichts aus der Ruhe. „Es klingt zwar hart, aber für Sehnsucht und Heimweh hatten meine Schwester und ich im Flüchtlingsheim kaum Zeit. Wir waren so beschäftigt, irgendwie selbständig zu werden und unsere Zukunft zu organisieren.“

Denn er mußte doppelt soviel lernen wie die anderen Kinder, die Sprache und zugleich den Lernstoff für die Schule. Worte scheinen nicht seine Welt, vielleicht ist dem Schlagzeuger deswegen die Musik so wichtig. „Schon in Eritrea hatte ich Bongos. Ich wollte immer nur trommeln, trommeln, trommeln.“ Seit zwölf Jahren spielt er in verschiedenen Bands eritreische Musik und später Funk und Soul.

Zum HipHop und zur Tontechnik kam Saeed durch einen Freund. Der hatte sich einen Synthesizer gekauft. 24 Stunden haben die beiden Freunde an dem Gerät gespielt und neue Musikstücke (Samples in der Rappersprache) zusammengestellt. „Seitdem ist mein größter Traum, ein eigenes Studio zu haben.“ Erst einmal wurde er aber Tontechniker. Als Assistent in einem Tonstudio kochte er dann Kaffee, putzte das Mischpult und lernte das Abmischen von Musik.

Seine Mutter und seine vier anderen Geschwister kamen zwei Jahre nach ihm nach Deutschland. Saeed erfuhr es erst drei Monate nach deren Ankunft über andere Eritreer, daß seine Mutter in Karlsruhe lebte. Zuvor hatten die beiden Geschwister in Berlin lange nichts von ihrer Familie gehört. Die Wiedersehensfreude war groß. So war ihm auch egal, daß weder sein Asylantrag noch der seiner Schwester anerkannt wurden. In Berlin wurde damals kaum jemand aus Eritrea als Flüchtling anerkannt.

„Meine Mutter wußte nicht, daß ich in Asmara, der Hauptstadt Eritreas, Flugblätter gegen das äthiopische Regime verteilt habe. Sie hat geweint, als sie das hörte“, erzählt Saeed, und zum ersten Mal weicht die Ruhe aus seinen Augen. Viele seien deswegen verhaftet und erschossen worden. Er wiederum wußte damals nicht, daß seine Mutter in der eritreischen Frauenbewegung aktiv war. Als sie verhaftet wurde, ahnte er etwas, aber in Eritrea hätten sie darüber nie gesprochen. „Zum Schluß haben wir zusammen geweint.“

Berlin gefällt ihm, trotzdem möchte er irgendwann mal zurück. „Letztes Jahr war ich in Kamerun, und ich fühlte mich unglaublich frei.“ Er war ein Schwarzer unter Schwarzen. „Es reicht, daß hier in Berlin einer unter hundert Leuten rassistisch ist. Es bleibt wie ein Fleck auf deiner Seele“, erzählt Saeed.

Einmal war er in einer Bank, um Geld aus dem Automaten zu ziehen. Als er die EC-Karte aus seinem Portemonnaie holte, habe sich eine dabeistehende, ihm völlig fremde Frau empört: „Du hast mittlerweile Geld auf dem Konto. Das darf es doch gar nicht geben.“ Er zuckt mit den Schultern und sagt: „Was willst du dazu noch sagen?“

Dabei hatte er bisher Glück. Zusammengeschlagen wurde er noch nie. Aber seine Freunde. „Du bist immer vorsichtig in der U-Bahn. Ich gucke immer genau, wer im Wagen sitzt.“

Mit den Jugendlichen beim HipHop-Mobil hatte er noch nie Probleme. Er erklärt sich das mit ihrem Alter: „Sie sind verspielt, aufmüpfig und frech, manchmal auch anstrengend, wenn sie durcheinanderschreien. Aber sie sind nicht aggressiv.“

Yasmine und Anisa haben sich auf Stühle im Studio gesetzt. Gerade geht gar nichts mehr, denn das Keyboard funktioniert nicht. Ohne Gerät keine Musik. Saeed ist unter den Tisch verschwunden und überprüft die Anschlüsse. „Das ist eigentlich das Schlimmste: die technischen Probleme“, tönt es unter dem Tisch.

Die beiden Mädchen langweilen sich und fangen an, ein Lied von der Gruppe Tic Tac Toe nachzusingen: „Ich find' dich Scheiße, so richtig Scheiße... Sch... Sch... Sch... Scheiße.“ Saeed krabbelt unter dem Tisch hervor und sagt grinsend: „Ich beeile mich ja schon.“