Wer baut, erntet Gewalt statt Frieden und Sicherheit

■ Die Osloer Friedensabkommen haben durch die plötzliche Explosion der Gewalt und Netanjahus kompromißlose Siedlungspolitik immer weniger Aussicht auf Erfolg

Mit einem Bombenattentat hat sich die radikalislamische Hamas- Bewegung im Nahen Osten zurückgemeldet. Drei junge Israelinnen fielen am Freitag in Tel Aviv dem Selbstmordkommando eines Palästinensers zum Opfer, 40 Menschen wurden verletzt.

Am Tag danach lieferten sich junge Palästinenser schwere Straßenschlachten mit der israelischen Polizei im Zentrum der Stadt Hebron im palästinensischen Autonomiegebiet, in der auch 400 israelische Siedler leben. Die Auseinandersetzungen erinnerten an die Zeit der Intifada. Zur Wiederherstellung der Ordnung kamen auch verschiedene palästinensische Polizeieinheiten zum Einsatz. Die israelischen Behörden rügten deren Vorgehen jedoch anschließend als nicht resolut genug. Hohe israelische Offiziere setzten die Chefs der palästinensischen Sicherheitsdienste unter Druck. Als Bedingungen für die Rückkehr der Israelis an den Verhandlungstisch wurde genannt: Festnahme zahlreicher Hamas-Aktivisten und Entwaffnung „radikaler Elemente“.

Der militärische Flügel der Hamas, As ad-Din al-Kasim, drohte in einem am Wochenende verteilten Flugblatt mit der Ausbreitung des gewaltsamen Widerstands. Man werde Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu „eine Lektion erteilen, die er nie vergessen wird“, hieß es in der Erklärung. Und: „Die Hartnäckigkeit, mit der die Zionisten ihre schmutzige Siedlung weiterbauen, zwingt uns, die Angriffe auf die Zionisten fortzusetzen.“

Vielen Israelis drängt sich nun die Frage auf, wo der von Netanjahu versprochene „Frieden in Sicherheit“ bleibt. Selbst aus dem Koalitionslager sind kritische Stimmen zu hören: „De facto haben wir jetzt weder Frieden noch Sicherheit“, heißt es aus Regierungskreisen.

Eines hat die plötzliche Explosion der Gewalt auf jeden Fall bewirkt: Die Osloer Friedensabkommen, die Regierungschef Netanjahu grundsätzlich ablehnt, aber bis zum kürzlich unterzeichneten Hebroner Vertrag zumindest formell zu respektieren versprach, haben jetzt noch weniger Aussicht auf Erfolg. Unmittelbar vor Beginn der entscheidenden Verhandlungen über die zentralen Probleme des israelisch-palästinensischen Konflikts (Status Jerusalems, Flüchtlinge, Siedlungen, Grenzen, Land, Wasser) hat Netanjahu eine Reihe von Schritten unternommen, die den Status quo vor allem Jerusalems zuungunsten der Palästinenser verändern.

Einer davon ist der Bau der Siedlung Har Homa im arabischen Ostteil Jerusalems. Als Auftakt zu den Verhandlungen über die Zukunft Jerusalems haben die israelischen Behörden die Schließung einiger palästinensischer Institutionen in Jerusalem verlangt und ihre Bemühungen um eine Art „ethnischer Säuberung“ in den palästinensischen Teilen der Stadt intensiviert: eine „demographische“ Maßnahme, mit der die Zahl der palästinensischen Bürger Jerusalems auf ein Minimum reduziert werden soll.

Die palästinensische Selbstverwaltungsbehörde protestierte gegen den Versuch der israelischen Übermacht, die Bedingungen eines zukünftigen Abkommens durch einseitig neugeschaffene Tatsachen zu diktieren. Arafat bestand jedoch ausdrücklich auf gewaltlosen Protestaktionen. Die Demonstrationen in Har Homa wurden – auch nach israelischen Aussagen – „auf kleinstmöglichem Feuer“ gehalten, um ernstere Zusammenstöße zu vermeiden.

Bei der palästinensischen Bevölkerung wuchsen jedoch Frustration und Empörung – besonders als Netanjahu in der vergangenen Woche neue Vorschläge für zusätzliche Abweichungen vom Osloer „Fahrplan“ vorlegte. Sein Plan eines „Blitzverfahrens“, mit dem der Prozeß bei Regelung aller bisher noch unberührter Kardinalfragen innerhalb der nächsten sechs Monate abgeschlossen werden soll, bestärkte viele Palästinenser nur noch in ihrer Überzeugung, daß Netanjahu den Friedensprozeß eigentlich abbrechen und erst nach Vereinbarung neuer Spielregeln zu Israels Gunsten wiederaufnehmen will.

Nach dem Anschlag in Tel Aviv riegelten israelische Soldaten erneut den Gaza-Streifen und das Westjordanland ab. Nur in seltenen Ausnahmefällen wird Palästinensern die Einreise nach Israel gestattet. Das Haus der Familie des Attentäters in dem Dorf Zurif wurde von der Besatzungsbehörde zugemauert; für die Frau und die vier Kinder des Attentäters ist es damit unbewohnbar. Demnächst soll das Gebäude in die Luft gesprengt werden: eine mittlerweile übliche Maßnahme gegenüber den Angehörigen von palästinensischen Attentätern. Dabei unterscheidet sich diese Reaktion der Regierung Netanjahu kaum von denen vorangegangener Regierungen unter der Führung der Arbeitspartei. Als vor einem Jahr in Tel Aviv und Jerusalem mehrere Bomben explodierten, ging die damalige Regierung ähnlich hart gegen Palästinenser vor.

In seinem Wahlkampf hatte Netanjahu die Verhinderung von Terror und mehr Sicherheit versprochen. Durch die Ereignisse der letzten Tage hat Netanjahus Glaubwürdigkeit in diesen für die israelische Öffentlichkeit entscheidenden Punkten gelitten. Seit der Explosion am Freitag wird wieder die Frage der Bildung einer Regierung der nationalen Einheit diskutiert: einer großen Koalition zwischen Likud und Arbeitspartei. Der Chef der Arbeitspartei, Schimon Peres, ist eindeutig dafür. Aber sein Kronprinz Ehud Barak, der Peres im Sommer wahrscheinlich als Spitzenkandidat der Arbeitspartei ersetzen wird, hält den Zeitpunkt dazu noch nicht für gekommen. US-Präsident Bill Clinton hat Netanjahu angeblich dringend geraten, eine solche Regierung zu bilden, um dem Friedensprozeß zu retten.

Ebenfalls für eine große Koalition ist der Likud-Rechtsaußen und Minister für Infrastruktur, Ariel Scharon – allerdings mit einer anderen Zielsetzung: Eine geeinte israelische Front soll Arafat und die gesamte arabische Welt abschrecken. Amos Wollin, Tel Aviv