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Bitterkeit und Schönheit im Gleichgewicht

■ Kammerphilharmonie lud zu einer bewegenden Begegnung mit Schostakowitsch

In seiner Sonntagsmatinee im KITO verblüffte die Kammermusikreihe der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen mit einem ungewöhnlichen Programm. Schostakowitschs zu Pennälerzeiten geschriebenes erstes Klaviertrio op. 8 und seine späten sieben Gedichte von Alexander Blok op 127 für Klaviertrio und Sopran umrahmten einen Galoppmarsch durch das Schubertsche Liedschaffen. Der konzeptionelle Gedanke dahinter erschloß sich nicht. Doch dem Zuhörer blieb auch wenig Zeit zum Grübeln, denn Schostakowitschs „Jugendsünde“opus 8 entpuppte sich schnell als reizvolle Arbeit, die im Kern wesentliche Züge des Gesamtwerkes enthält.

Wir hören dunkel-karge Klavierklänge, nach denen Violine und Cello in unruhige, unheilkündende Motorik verfallen. Unerwartet traktiert uns die aufgeblasene Tonsprache der russischen Spätromantik, die der junge Meister wenig später auf Schleichwegen wieder verläßt. Offen bleibt, ob dies eine Anpassungsleistung des Zöglings an den konservativen Lehrkörper des Leningrader Konservatoriums ist oder ob er ihn veräppeln will.

Die Bloklieder, die nach der Pause erklangen, knüpften in Stimmung und Ausdruck an die ersten Takte des Trios an. Sie kennen keinen Anpassungszwang mehr. Ihre Instrumentierung wechselt. Cello, Violine und Klavier begleiten die Singstimme einzeln, kommunizieren dann jeweils mit einem anderen und finden im letzten Lied alle zusammen. Dies erweist sich als sensationeller, die Texte eindringlich überhöhender Kunstgriff. Die Gedichte Bloks kreisen um Abschied, Erinnerung an Kampf und Liebesnächte, um Zukunftsangst, Schlaf und Tod und fragen abschließend nach der Funktion, die „Klänge auf der Erde“und „Musik bei Gott“in dieser Welt haben. Trost spenden meint Blok, Schostakowitsch setzt dahinter ein Fragezeichen.

Die Gefühlswelten der Poeme sind von der eher deklamatorisch-nüchtern gehaltenen Singstimme auf die beiden Streicher verlagert. Ophelias Klage begleitet das Cello mit einem zart-düsteren Lamento. Die Geige kommentiert melancholisch zärtliche Reminiszenzen des Textes mit verknappter jiddischer Folklore, um mit unvermittelter Wildheit die Idylle zu zerbrechen. Das leise Hinzutreten des jeweils ausgesparten Instruments in den letzten drei Liedern wird zum schmerzlich bewegenden Ereignis.

Hozumi Murata, Violine und Marc Froncoux, Cello, die das Trio des jungen Schostakowitsch mit geschmackvoll gezügelter Wildheit, begleitet vom kalten Feuer der Pianistin Anna Petrowa, vorgestellt haben, gelang in den Liedern des alten Komponisten eine atmosphärisch außerordentlich dichte Interpretation. Die belgische Sopranistin Dominique Mols brachte ihren hell timbrierten Sopran klug dosiert ein und schuf so ein fragiles Gleichgewicht zwischen Bitterkeit des Textes und Schönheit des Instrumentalsatzes.

Von Schostakowitsch derart in die Zange genommen, verblaßte der Querschnitt an Schubertliedern. Deren Stärke liegt ohnehin nicht in der musikalischen Verdichtung des Textes, sondern im doppelten Boden, der sich hinter ihrem plaudernden Volkston verbirgt. Mag sein, daß die Schubert zuteil gewordene Nebenrolle dem Umstand geschuldet war, daß Frau Mols Stimme der unverhofften Begegnung mit dem neuerlichen Wintereinbruch ebenso wenig gewachsen war, wie das Publikum. Dieses dankte bewegt, besonders für die Begegnung mit den Blokliedern.

Mario Nitsche

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