Einfach nur zur Ruhe kommen

Erst lebte Angela an der East Side Gallery, nun droht bei der für morgen geplanten Räumung der Wagenburg Bethaniendamm die zweite Vertreibung  ■ Von Kirsten Niemann

„Vorsicht – bissige Hündin!“ steht auf der bunt angemalten Bretterbude am Bethaniendamm in Kreuzberg. Gefolgt von dem Vierbeiner, der auf den Namen „Woodstock“ hört, erklimmt die humpelnde Angela unter sichtlich größter Mühe das Treppchen zu ihrer Behausung: „Hier wohne ich.“

Auf kaum mehr als vier Quadratmetern quetschen sich ein Schlaflager, ein kleiner Allesbrenner, diverse Klamotten, Decken, Tücher und vor allem Hunderte von Erinnerungsstücken aus alten Zeiten: Selbst die Wände hängen voll mit Postkarten, Bildchen, Clowns und sorgsam gerahmten Fotos. Unter anderem von Imke und ihrer Tochter. Imke ist Angelas „Lieblingsfreundin“, wie sie sagt. Von der Decke baumeln zwei Glöckchen, die sie von anderen Freunden zum Abschied bekam, bevor diese nach Spanien abgehauen sind. Die Ecke neben dem Schlaflager ziert ein selbstgebasteltes Kunstwerk aus Schrott- und Styroporteilchen, das Angela ihrem langjährigen Kumpel Charlie gewidmet hat. Freunde zu haben – das begreift man sofort, wenn man Angelas Reich betritt –, das ist so ziemlich das Wichtigste in ihrem Leben.

Die 33jährige Berlinerin ist eine der rund 30 BewohnerInnen der Wagenburg zwischen Engel- und Bethaniendamm, an der Grenze zwischen den Bezirken Kreuzberg und Mitte. „Elliemeile“ wird dieses Gelände von Insidern genannt. Vor ein paar Jahren wurde es hauptsächlich von Lkw-Travellern und anderen Freaks aus ganz Europa aufgesucht. Manche blieben nur ein paar Wochen, andere gleich monatelang. Vor allem hatte man Spaß zusammen.

Doch von der Partystimmung früherer Zeiten ist heute nicht mehr viel übrig. In den verfallenen Bauwagen und Lkws haust derzeit noch der klägliche Restposten von Leuten, die bis zum letzten Sommer an der East Side Gallery gewohnt haben und in anderen Rollheimer-Dörfern nicht mehr untergekommen sind. Während die East Side Gallery an ihren besten Tagen über eine soziale Struktur verfügt hatte, die die nötigsten Dinge des Zusammenlebens regelte, scheint sich der Alltag am Bethaniendamm heute ungleich schwerer zu gestalten: Organisierte Strukturen haben hier kaum eine Chance, längerfristig zu überdauern. Denn im Gegensatz zu Orten, wie dem Kreuzdorf oder dem Schwarzen Kanal, die von einem bunten Szenegemisch aus Aussteigern, Autonomen und Hippies bewohnt werden, leben an der Elliemeile die Schwächsten der sozial Schwachen. Leute, die zum größten Teil nicht einmal mehr Sozialhilfe bekommen. Der Bethaniendamm ist für alle offen. Hier kann zum Beispiel auch jeder kommen und heimlich seinen Hausrat abladen – dementsprechend chaotisch sieht es auch aus.

Ein Besucher von außerhalb sieht erst einmal nur Unrat und Dutzende von Hunden, die überall zwischen den Wagen herumstreunen. Dazu gesellen sich Sperrmüll, Elektrogeräte und andere Gegenstände, bei denen es eher unwahrscheinlich ist, daß sie von den Wagenburgbewohnern dort abgeladen wurden. Doch mittlerweile haben sich einzelne Leute dazu bereit gefunden, den gröbsten Dreck beiseite zu schaffen. „Wir passen auch auf, daß hier keine Leute herkommen, die mit Drogen dealen“, sagt Angela nicht ohne Stolz.

Angela hat ihr Leben vergleichsweise im Griff. Zusätzlich zur Stütze verdient sie sich ein paar Mark bei der Treberhilfe dazu. Zu ihren Aufgaben gehören praktische Dinge, wie die Post oder auch das Essen der „Berliner Tafel“ an Obdachlose zu verteilen. Sie selbst hat der Treberhilfe auch einiges zu verdanken, doch mit den Obdachlosen in einen Topf geworfen zu werden, das paßt ihr nicht. Zu den Wagenburglern der East Side Gallery kam Angela, als sie „durch einen furchtbar unglücklichen Umstand“, an den sie sich lieber nicht erinnern möchte, ihre Wohnung in Kreuzberg verlor. Nur mit einem Rucksack und einem Schlafsack mußte sie dort nach der Räumung weg. Die Hunde waren zunächst in Quarantäne und die anderen Besitztümer konfisziert. Die anschließende Odyssee durch Parkanlagen und diverse besetzte Häuser fand Angela anstrengend. Anstrengend wie ihr ganzes Leben zuvor.

Mit elf Jahren „machte sie die Biege nach Wessiland“, nahm Reißaus aus einem Elternhaus, in dem vom Vater außer Prügeln nichts zu erwarten war. „Da ging ich doch lieber ins Heim!“ Nach einer abgebrochenen Ausbildung als Erzieherin kam sie zurück nach Berlin. 17 Jahre war sie damals, als sie in die Obdachlosenpension in der Fidicinstraße zog. „Den anderen Frauen auf dem Zimmer mußte ich immer Alkohol kaufen, wenn ich mal eine Freundin mitbringen wollte“, erinnert sich Angela. Ob sie sich vorstellen könne, nach der Räumung der Elliemeile wieder in einer Pension wie dieser zu leben? „Mit acht Leuten auf einem Zimmer? Nicht mit mir!“ Doch wohin sie gehen wird, wenn der Bethaniendamm geräumt wird, weiß sie noch nicht. Sie möchte einfach nur zur Ruhe kommen und bei ihren Freunden sein.