Zivilpersonal bei US-Armee „on strike“

Weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit kämpfen seit vier Wochen rund 35.000 Zivilbeschäftigte bei den US-Streitkräften und der Britischen Rheinarmee um ihre Existenz  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

„Kalte Hamburger in kalten Räumen“ werden den Soldaten der U.S. Air Force in ihrer Kaserne in Hanau serviert. Denn die deutschen Heizer und auch die „Küchenbullen“, die den GIs dort seit Jahren die tiefgefrorenen fliegenden Untertassen aus gehacktem Fleisch auftauen und dann zwischen zwei brötchenähnliche Teile aus Schaumstoff schieben, sind „on strike“. Vor dem „Home of the Eagles“, dem US-Militärflughafen in Erbenheim (Wiesbaden), müssen die Yankees wieder selbst Wache schieben, denn das zivile Personal für die Security ist im Ausstand.

An fast allen Standorten der U.S. Army und der U.S. Air Force in Deutschland geht den GIs der (dienstliche) Lesestoff aus, denn auch im Druckzentrum Europa der US-Streitkräfte stehen alle Maschinen still.

Der Streik der Zivilbeschäftigten bei den US-Streitkräften, der Britischen Rheinarmee und der Royal Air Force ging gestern – wegen der Arbeitskämpfe der Kumpel und Stahlkocher im Revier und der Bauarbeiter in Berlin fast unbemerkt – in die vierte Woche. Und die „Streikfront steht“, wie Thomas Schenk von der bezirklichen Streikleitung der Gewerkschaft ÖTV in Hessen zufrieden feststellte: „Von Bayern bis zum Münsterland, von der Westpfalz bis nach Osthessen.“ Rund 35.000 Zivilbeschäftigte bei den US- Streitkräften und den Briten proben den Auf- und Ausstand. Denn die „letzten Mohikaner“ (Schenk), die noch als Zivilbeschäftigte an den letzten verbliebenen Standorten arbeiten, sollen ihre Jobs verlieren.

Vor allem die US-Amerikaner, berichtet Schenk, betrieben bundesweit eine „gnadenlose Politik der Privatisierung“. US-Unternehmen wie ITT, die als „Federal Service Corporations“ firmierten, böten ihre Dienste an fast allen Standorten in Europa an. Und deshalb gelte heute bei den Yankees und bei den Briten das US-amerikanische Prinzip „hire and fire“. Die Streitkräfte würden mit den U.S. Service Corporations befristete Verträge abschließen, die jederzeit kündbar seien. Deren Mitarbeiter wiederum würden gleichfalls nur mit befristeten Verträgen arbeiten, aus denen sich keine Ansprüche wie etwa Kündigungsschutz oder Urlaubsgeldforderungen ableiten ließen. Für Schenk sind das schlicht „US-amerikanische Verhältnisse in Deutschland“.

Den letzten beißen offenbar die Hunde. Für rund 65.000 Zivilbeschäftigte, die im Zuge der Auflösung diverser Standorte entlassen wurden, gab es im Rahmen eines Tarifvertrages zum Truppenabbau wenigstens Sozialpläne und Umschulungsmaßnahmen, die vom Bundesministerium für Finanzen, dem eigentlichen Tarifvertragspartner der ÖTV, bezahlt wurden. Für die jetzt vor einer Entlassungswelle stehenden Zivilbeschäftigten gilt dagegen das Nato-Truppenstatut. Darin sind Sozialpläne nicht mehr vorgesehen.

Entsprechend heftig wird die Auseinandersetzung geführt – von beiden Seiten. Die US-Standortkommandanten haben mit den vom Kongreß in Washington beschlossenen Budgetkürzungen zurechtzukommen. Planstellen sollen gestrichen werden – zuerst offenbar die der Zivilbeschäftigten. Doch das, so die ÖTV in einem Flugblatt an die Soldaten und ihre Familienmitglieder, sei eine „Milchmädchenrechnung“. Seit 1993 seien die Staatsausgaben der US-Regierung für die Privatisierungsverträge jährlich um mehr als 3,5 Prozent auf 3,85 Milliarden Dollar 1995 gestiegen. Im gleichen Zeitraum sei es hingegen durch Einsparung und Entlassung von Zivilbeschäftigten nur zu Kostenreduzierungen von einer Milliarde Dollar gekommen. Dennoch halte die US-Regierung an ihren Privatisierungsplänen fest, um vor allem US-amerikanische Firmen an den europäischen Standorten zum Zuge kommen zu lassen. Und die „Local Nation“-Arbeitnehmer würden dafür „zum Nulltarif“ gefeuert.

Noch scheint sich das bei den GIs nicht überall herumgesprochen zu haben. Wiederholt wurden Streikposten vor den Kasernentoren von Soldaten und „Streikbrechern“ (ÖTV) angefahren. Tatsächlich hält sich die U.S. Army Europe im Kampf gegen die streikenden Zivilbeschäftigten alle Optionen offen, wie in der Soldatenzeitung Stars and Stripes angedeutet wurde. Entweder setze man Militär ein, um die Zufahrt zu den Arbeitsstätten zu garantieren, oder man nehme kurzfristig Firmen unter Vertrag, die die Arbeit der Streikenden verrichten. Die Beschäftigten sind aber entschlossen, den Streik fortzusetzen. Gestern war Darmstadt ein Streikschwerpunkt. Heute soll es in Hanau mit dem ÖTV-Vorsitzenden May noch einmal „Hully Gully“ (ÖTV) geben. In den ersten drei Streikwochen traten rund 1.000 Zivilbeschäftigte der Gewerkschaft bei. Unterstützung erhielten die Streikenden auch von anderen Gewerkschaften.

In der vergangenen Woche luden Aktivisten der IG Bau exakt 51,2 Tonnen grobkörnige Tonerde vor dem Tor der U.S.-Pioneer-Kaserne in Hanau ab: „Ein Haufen Unterstützung für die Streikenden.“

Einen ersten Erfolg können die Streikenden inzwischen verbuchen. Die Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) teilte in Stuttgart mit, die Arbeitgeber hätten sich am Montag bereit erklärt, die seit Oktober letzen Jahres unterbrochenen Tarifgespräche wieder aufzunehmen. Die genauen Termine würden in Kürze vereinbart.