Drama ganz kühl

■ Dea Lohers „Tätowierung“in Oldenburg: Eine Familientragödie aus dem Gefrierfach

Sexueller Mißbrauch gehört zu den Themen, die in den letzten Jahren aus dem Schatten des Privaten in das Licht der Öffentlichkeit gezerrt wurden. Zum Glück, mag man meinen. Ob damit jedoch Tabus rund um dieses Thema gebrochen sind, bleibt fragwürdig. Mißbrauch als Medienthema scheint eine inflationäre Konjunktur zu erleben, die auf das Private zurückfällt: Das erlebte Grauen einzelner Mädchen und Frauen wird nachgerade zum publizistischen Massenartikel. Die Empfindungen der Einzelnen werden dabei bagatellisiert; ihre Glaubwürdigkeit wird zunehmend in Frage gestellt. Es gehört also Mut oder eine gehörige Portion Naivität dazu, dieses Thema zum Bühnenstoff zu machen. Das Oldenburger Staatstheater wagt mit „Tätowierung“von Dea Loher eine Unentschiedenheit, die diesem Dilemma zu entsprechen scheint.

Die Regisseurin Katja Czellnik bringt den Einakter in betonter Kargheit auf die Bühne. Inmitten des Zuschauerraums im Ausweichquartier „Fabrik“bildet sie ein Quadrat, auf dessen Ecken die Familienmitglieder – wie bei einer therapeutischen Session – plaziert sind: Anita, die mißbrauchte Tochter (Elina Benecke), zu ihrer Linken der Vater (Murat Yeginer), zu ihrer Rechten die jüngere Schwester (Barbara Brandhuber) und ihr gegenüber die Mutter (Katharina Schütz).

Elina Benecke wirkt wie eingefroren, ihren Füße berühren nur mit den Spitzen den Boden. Eine Hand ruht in dem schmerzenden Schoß, ihre Stimme hält starr ein monotones Niveau. Abgestorbene Seele. Die Dialoge der Familienmitglieder wirken nicht nur in dieser fortlaufenden Bedrücktheit unwirklich, sie spiegeln offenbar eher das Ungesagte, das nur voneinander Gedachte. Schauspielerische Aktion beschränkt sich auf Stimmen und mimische Verfärbungen.

Diese Zurückhaltung läßt das Geflecht der Beziehungen rein aus der Sprache heraus zwar deutlich zutage treten. Aber insgesamt bleibt der Eindruck dieser Theaterstunde eher schwach. Um dieses Regiekonzept sehr reduzierter Mittel wirken zu lassen, sind starke Schauspielerpersönlichkeiten nötig. Allein Katharina Schütz gelingt es zeitweise, ihre Monologe als stumme innere Beredtheit zu kennzeichnen. Und es gelingt inszenatorisch, wenn Murat Yeginer seine Anita wie eine Geliebte anspricht. Einzig spannende Momente.

Aber alles in allem: Man kapiert hier noch einmal, was inzwischen zum Allgemeinwissen über das Thema gehört. Das Opfer bleibt letztlich allein. Und die ZuschauerInnen auch. Eine öffentliche Antwort auf das erlebte Leid kann es wohl nicht geben. Jedenfalls nicht in Worten. Da muß sich die Kunst auf andere Wege begeben und auch Mut aufbringen, Tabus mit eigener Sprache zu brechen. mig