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: Drei Post-Rock-Variationen im Knaack-Klub

Was ist Post-Rock? Ein Modebegriff? Ein Fake? Oder die korrekte Bezeichnung für Musik, die sich unter dem Wörtchen Rock nicht ohne weiteres subsumieren läßt? An Post-Rock scheiden sich die Geister, und explizitere Erklärungen, beispielsweise, daß im Post-Rock herkömmliche Songstrukturen aufgelöst werden, überzeugen nur wenig. Zudem habe man das schon hundertmal gehört, und außerdem spiele eine Band wie Tortoise doch Dub und Free Jazz und eine wie Trans Am halt einfach Instrumental-Rock.

Wer zweifelt, der begebe sich in den rockistischen Knaack-Club, der heute abend mit den Bands Labradford, Hovercraft und E.A.R. zum Post-Rock-Hinterland umfunktioniert wird. E.A.R., ausgeschrieben Experimental Audio Research, sind vielleicht die konsequentesten Arbeiter im Zeitalter nach Rock. Deren erstes Werk, „Beyond The Pale“, flatterte letztes Jahr zusammen mit einem Waschzettel in meinen Briefkasten, auf welchem stand, daß E.A.R. u.a. ein „Projekt“ von Sonic Boom (Ex-“Spaceman 3“) und Kevin Shields (Ex-“My Bloody Valentine“) seien. Was erwartungsvolle Freude erzeugte, hatte man sich Ende der Achtziger doch sehr eng mit beiden Bands befreundet. Doch auf „Beyond The Pale“ sind vor allem Effekte und krude Geräusche zu hören. Keine Chance für suchterzeugende Monotonie in der Wüste oder ein entspanntes Wackeln mit dem Schädel. Eher melden sich bei E.A.R. Assoziationen an dunkle Welten und fremde Mächte – womit wir thematisch auch bei Hovercraft wären. Die haben ihr erstes Album „Akathisia“ genannt. Fachausdruck für Sitzunruhe, ist Akathisie eine höchst unangenehme Nebenwirkung von Neuroleptika; und damit müssen Hovercraft recht intensiv zu tun bekommen haben – egal, auf welcher Seite der Psychoschranke: Ihre Cover-Antwort sieht aus und liest sich wie ein Auszug aus einem Lehrbuch der Psychiatrie, Kapitel F, Schizophrenie. Die Musik ist dementsprechend, geht öfter aber mit druckvollen Drums und schweren Bässen rhythmisch nach vorn los. Falls man unter den drei Bands Sinn für eine effektvolle Dramaturgie besitzt, dann müßten Labradford heute abend der Headliner sein. Deren Sound ist entspannend und erzeugt angenehme Leeren in Kopf und Herz. Gerrit Bartels

Ab 21 Uhr, Knaack-Club, Greifswalder Straße 221