„...bis sie völlig fertig sind auf der Bereifung“

■ Der Vizepräsident der Berliner Ärztekammer, Günther Jonitz, über Mobbing in Krankenhäusern. Extreme Arbeitsbelastung und feudalistische Führung

taz: Nach einer bundesweiten Umfrage der Ärztegewerkschaft Marburger Bund hat Mobbing unter Ärzten extrem zugenommen. Wird der Grundsatz, daß Mediziner andern das Leben erleichtern sollen, unter KollegInnen zunehmend ins Gegenteil verkehrt?

Günther Jonitz: Ja. Die inhumanen Arbeitsbedingungen in Krankenhäusern führen zwangsläufig zu inhumanen Verhaltensweisen. Die Arbeitszeiten gehen mit 60 bis 70 Stunden in der Woche deutlich über jegliches gesetzliche Maß hinaus. Die meisten Klinikärzte haben in der Regel ein freies Wochenende im Monat. Chronische Müdigkeit ist ein Dauerzustand für jeden Assistenzarzt.

Es soll Fälle gegeben haben, wo Ärzte unliebsamen Kollegen im Nachtdienst Betäubungsmittel verabreicht haben.

Es gibt extreme Einzelfälle, wo Ärzte durch Schlafmittel vergiftet wurden. Es sind auch Fälle bekannt von sexuellem Mißbrauch von Chefärzten gegenüber ihren Untergebenen, um bestimmte Leistungen zu gewähren. Ich kenne einen Fall, wo auf die konkrete Frage, wie ein verbranntes Kind behandelt werden soll, bewußt die falsche Antwort gegeben wurde, um einen Kollegen fachlich auflaufen zu lassen.

Hatte das Konsequenzen?

Nein. Gott sei Dank auch nicht für das Kind. Der Mensch ist erfreulicherweise belastbar. Auch intern gab es keine Konsequenzen, weil ein Telefongespräch nicht rechtsgültig ist.

Von wie vielen Mobbingfällen wissen Sie in Berlin?

Hochgerechnet sind mir 300 Fälle bekannt. Doch die Dunkelziffer ist relativ groß. In Unikliniken wird es praktisch in jeder zweiten Abteilung einen Fall geben.

Ist Überlastung die Ursache?

Zum einen ist es die extreme Arbeitsbelastung. Zum andern werden viele Kliniken intern immer noch sehr feudalistisch geführt. Abteilungsleiter, die in einer jahrelangen Unikarriere auf Egoismus und Maximalmedizin getrimmt wurden, sind in der Regel überfordert, wenn sie nun sozial in einem Team arbeiten müssen.

Wie äußert sich das Mobbing?

Zuerst wird der betroffene Kollege öffentlich in seiner fachlichen oder menschlichen Kompetenz herabgesetzt. Bei Chefarztvisiten oder bei Besprechungen wird er entweder direkt abgekanzelt, oder es wird auf seine Einwände nicht eingegangen. Die nächste Stufe ist, daß der Betroffene aus dieser Ausgrenzung heraus wirklich einen Fehler macht. Oder er wird abgeschoben in andere Bereiche nach dem Motto „Du darfst jetzt nur noch in der Rettungsstelle Dienst machen“ oder „Sie sind der zuständige Facharzt für die Bibliothek der Abteilung“. In der Regel ist Mobbing eine schleichende Demontage von Leuten, die subversiv unterminiert werden, bis sie völlig fertig auf der Bereifung sind und schließlich einen Rentenantrag einreichen. Oder die Leute werfen von sich aus das Handtuch.

Haben Sie dafür Erkenntnisse?

Nein. Der, der gemobbt wird, geht ja nicht zum Doktor und sagt, daß er gemobbt wird, sondern er sagt, daß er sich schlecht fühlt oder Herzrasen hat. Damit wird aus einem betriebswirtschaftlichen ein medizinischer Fall. Aktuell kann kaum ein Arzt gehen, weil man sich in Berlin fast nirgendwo mehr niederlassen kann. Betroffene Ärzte gehen statt dessen noch mehr in die innere Kündigung. Interview: Barbara Bollwahn