■ Peter Frisch ist oberster Verfassungsschützer der Republik. Im taz-Interview äußert er sich über Rechtsextremismus, islamistische Gruppen und zum RAF-Aussteigerprogramm
: "Intelligenz wird durch Brutalität ersetzt"

taz: Vor eineinhalb Wochen haben Bundeswehrsoldaten Ausländer in Detmold angegriffen. Mindestens zwei der Soldaten sollen dem rechtsextremistischen Umfeld angehören. Kann es weiterhin nur Aufgabe des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) sein, sich um solche Vorfälle zu kümmern?

Peter Frisch: Natürlich ist der MAD zuständig, solche Erscheinungen schon in den Anfängen zu erkennen und dann den Vorgesetzten Mitteilung zu machen. Ein Ansatz wäre zu überlegen, ob der MAD die Möglichkeit haben sollte, alle Leute, die einberufen werden, bei uns abzufragen. Der MAD darf bislang bei uns nicht anfragen, es sei denn, er hat bereits konkrete Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Aktivitäten. Ich weise aber auch deutlich auf die mit einer solchen Regelanfrage verbundenen Probleme hin. Eine Regelanfrage kann kein Allheilmittel sein, weil wir weder ein umfassendes Bild über alle haben können noch haben wollen.

In Berlin schießt Kai Diesner, der sich selbst als Mitglied einer Gruppe „Weißer Arischer Widerstand“ bezeichnet, einem Buchhändler den Arm ab, am Tag darauf tötet er mit seiner Schrotflinte einen Polizisten. Was wußte der Verfassungsschutz über Diesner?

Zunächst wußte der Verfassungsschutz, daß es eine Gruppe „Weißer Arischer Widerstand“ als solche nicht gibt. Zwar haben sich einige rechtsextremistische Gewalttäter unter dieser Bezeichnung zu erkennen gegeben, aber als Gruppe existiert diese tatsächlich nicht. Kai Diesner war dem Verfassungsschutz als gewaltbereiter Neonazi bekannt, er ist einschlägig vorbestraft. Die Rechtslage läßt es aber nicht zu, solche Leute nur deshalb rund um die Uhr zu beobachten, weil sie als gewaltbereit bekannt sind. Wenn Diesner aktives Mitglied einer militanten Gruppierung gewesen wäre, dann hätten wir die Gruppe intensiv beobachten und weitere Aufschlüsse gewinnen können.

Wie viele von der Sorte eines Kai Diesner könnte es geben?

Rechtsextremisten, die zum Gewehr greifen und schießen – hier wäre jede Zahl reine Spekulation.

In der Wahrnehmung der Medien ist der Fall Diesner Beleg dafür, daß der Verfassungsschutz als Frühwarnsystem versagt. Schafft den Verfassungsschutz ab, stand vor rund zwei Wochen in der taz.

Eine solche Kommentierung übersieht, daß wir nicht ein Hilfsorgan der Polizei sind. Wir haben unter anderem die Aufgabe, extremistische, gewalttätige Bestrebungen insgesamt zu beobachten. Wir analysieren Bestrebungen und deren Tendenzen, wir geben Lagebilder und Prognosen über die Entwicklung von Gruppen ab. Es geht zum Beispiel darum, ob und welche rechtsextremistischen Bestrebungen es gibt, die letzten Endes auf ein Wiedererrichten des Nationalsozialismus zielen, und wieweit sich solche Bestrebungen in Gewaltplanungen oder Gewaltausübungen äußern. Gewalttaten von fanatisierten Einzeltätern oder von Psychopathen können wir nie ganz ausschließen. Das hängt damit zusammen, daß Rechtsextremisten überwiegend Leute sind, die keine allzu hohe Intelligenz besitzen und die diesen Mangel durch Brutalität ersetzen. Es ist deshalb sehr schwierig, deren Handlungen im voraus zu erkennen. Sie können aber davon ausgehen: Wenn wir Hinweise auf solche Gewalttäter haben, dann wird eine derartige Person intensiv beobachtet. Es gab bereits eine Reihe von Fällen, in denen es uns gelungen ist, der Polizei rechtzeitig Hinweise zu geben.

Leute wie Diesner waren vor den Verboten in Zusammenhängen eingebunden, die möglicherweise solche schweren Verbrechen verhindert hätten. Sind derartige Verbrechen die Kehrseite der Parteien- und Vereinigungsverbote?

Ich fürchte, ein Mann wie Diesner wäre auch durch die Einbindung in eine Partei oder eine Gruppe nicht an seinen Taten gehindert worden. Es war auch gar nicht zu erwarten, daß mit den Parteiverboten die extremistische Gewalt als solche beseitigt wird. Die Verbote haben dazu beigetragen, daß weniger Gewalt ausgeübt wird. Sie haben ihre Wirkung durch die Abschreckung potentieller Mitglieder getan. Heute beobachten wir eine Zunahme sogenannter „autonomer Kameradschaften“, es gibt um die 50 davon im Bundesgebiet. Diese Kameradschaften haben ganz bewußt Anleihen bei den linksextremistischen Autonomen genommen, um keine strukturierten Vereinigungen zu bieten, die durch Verbote leicht aufgelöst werden können. In diesen Gruppen verständigt man sich durch die Hilfsmittel der Technik, vom Mobilfunk über das Internet biz zu Mailbox-Netzen. Den Hort eines beginnenden Rechtsterrorismus stellen sie aber Gott sei Dank noch nicht dar.

Im Gegensatz zu den vergangenen Jahren tritt die rechte Szene weniger durch Aufmärsche oder Kundgebungen in Erscheinung. Dafür hat aber die Anzahl fremdenfeindlicher Übergriffe drastisch zugenommen, wie auch die Aggressivität und Brutalität.

Ein Blick auf die Statistik sagt anderes. Seit 1993 haben die Sicherheitsbehörden einen starken Rückgang fremdenfeindlich motivierter Straftaten verzeichnen können. Zwar hat sich diese Rückentwicklung in jüngster Zeit verlangsamt, sie ist aber bundesweit als Trend noch feststellbar. Die fremdenfeindliche Gewalt ist für uns als Behörde eine relativ neue Form des Rechtsextremismus. Das wird manchmal bestritten mit der Aussage, das sind junge Leute, bei denen eine rechtsextremistische Ideologie nicht festzustellen ist. Dennoch sagen wir: Das ist Rechtsextremismus, weil diese Personen anderen Bürgern und sich hier aufhaltenden Menschen bestimmte Rechte abstreiten und dies mit deren Aussehen oder deren Herkunft begründen. Wenn zu dieser Auffassung auch noch Gewalt dazu kommt, dann ist das Rechtsextremismus.

Worauf führen Sie solche Haltungen zurück?

Es gibt eine Fülle von Ursachen. Zum Teil stehen soziale Probleme dahinter, Wohnungsnot, keine Arbeit. Das gilt besonders in den neuen Bundesländern. Es herrscht auch eine Orientierungslosigkeit unter Jugendlichen. Für eigenes Versagen und Unvermögen wie auch für eigene unverschuldete Schwierigkeiten werden Entschuldigungen gesucht, da macht man gern Randgruppen wie Asylbewerber und andere Ausländer verantwortlich. Hinzu kommt eine Beeinflussung durch organisierte rechtsextremistische Gruppen, die bis zur Neuordnung der Asylpolitik auf diesem politischen Feld ihre Ernte eingefahren haben. Es herrscht eine Verunsicherung, von der Diskussion über den Euro bis zur Steuerpolitik. Viele Bürger sehen Mängel, suchen dafür Ursachen, und manche glauben, die bei Ausländern, bei Fremden zu finden. Allerdings empfindet längst nicht die Mehrheit aller Jugendlichen so.

Die Argumentation ist bekannt. Ist der oberste Verfassungsschützer ein Sozialarbeiter?

Keineswegs, aber es wäre doch völlig verkehrt zu sagen, Knüppel raus und die Gefängnisse vollmachen. Aber selbstverständlich gehört bei brutalen Straftaten die konsequente Strafverfolgung dazu.

Bei ihrem Amtsantritt Mitte letzten Jahres haben Sie vor islamistischen Bestrebungen in der Bundesrepublik gewarnt. Haben Sie denn die Bonner Politiker gewarnt, was passieren kann, wenn im April im „Mykonos“-Prozeß die Berliner Justiz von einer Steuerung des Attentates durch iranische Geheimdienststellen spricht?

Es wird Sie nicht überraschen, daß dies Gegenstand intensiver Beratungen und Vorbereitungen der Sicherheitsbehörden ist. Die Art und Intensität der Reaktionen auf das Urteil wird davon abhängen, wie deutlich das Gericht auf einen staatsterroristischen Hintergrund des „Mykonos“-Attentats eingehen wird. Das zu entscheiden ist selbstverständlich Aufgabe des Gerichts. Wir müssen Demonstrationen, Ausschreitungen im Iran und erhebliche Störungen der außenpolitischen Beziehungen zum Iran einkalkulieren. Ich gehe davon aus, daß entsprechende Sicherheitsmaßnahmen ergriffen werden.

Rechnen Sie auch mit Anschlägen in der Bundesrepublik?

Dafür gibt es bisher keine Anhaltspunkte. Wir können dies aber nicht ausschließen, fanatisierte Einzeltäter kann es auch hier geben. Wir gehen aber nicht davon aus, daß der iranische Staat entsprechende Aktivitäten initiieren wird.

Wie hoch ist das islamistische Potential in der Bundesrepublik einzuschätzen?

Es gibt 17 islamistische Vereinigungen mit einer Anhängerzahl von rund 32.000 Personen. Nicht jedes der Mitglieder darunter ist als Islamist zu bezeichnen. Wir haben hier Anhänger der Hamas, der Hisbollah, auch einige der FIS und einige iranische Vereinigungen, die islamistische Zielsetzungen verfolgen. Gewaltakte gehen von diesen Gruppen hier in Deutschland noch nicht aus. Das könnte sich ändern, denn der Islamismus läßt keinen Zweifel daran, daß er letztlich die Gottesherrschaft, das heißt die Einheit von Staat und Kirche, auf der ganzen Welt verwirklichen will. Die Ereignisse im Ausland – etwa in Algerien – zeigen, daß massive Gewalt zur Errichtung einer solchen Zielsetzung eingesetzt wird.

Aus dem Ausland gibt es den Vorwurf, die Bundesrepublik gehe nicht entschieden genug gegen islamistische Gruppen vor, mit der Folge, daß die Bundesrepublik als logistische Basis von islamistischen Gruppierungen genutzt wird.

Das stimmt nicht. Wenn wir Hinweise erlangen, daß hier Gewalttaten geplant werden, dann gehen wir dem mit aller Konsequenz nach. In verschiedenen Fällen haben die deutschen Sicherheitsbehörden Waffentransporte durch Deutschland feststellen können. Die betreffenden Personen sind festgenommen worden und warten auf ihren Prozeß.

Herr Frisch, ein anderes Thema. In den deutschen Gefängnissen sitzen zur Zeit zwei Beschuldigte, denen eine Mitgliedschaft in der Antiimperialistischen Zelle (AIZ) vorgeworfen wird. Seit deren Inhaftierung hat es keinerlei Aktivitäten der AIZ mehr gegeben. Gibt es diese Gruppe noch?

Wir gehen davon aus, daß die AIZ nicht mehr besteht...

... und niemals aus mehr als den zwei inhaftierten Personen bestanden hat?

Das würde ich so nicht sagen. Die Zahl der Anschläge, die der AIZ zugerechnet werden, sowie deren logistische Vorbereitung, wäre für zwei Personen ein wenig zu viel gewesen. Sie müssen Unterstützer gehabt haben. Es spricht aber einiges dafür, daß die beiden Inhaftierten die Hauptverantwortlichen waren.

Sie haben jüngst erklärt, weder die AIZ noch die Revolutionären Zellen noch die Rote Armee Fraktion stellten noch eine Gefahr dar.

Die Revolutionären Zellen gibt es noch, ebenso die Rote Armee Fraktion. Aber die beiden Gruppen halten sich zurück. Die RAF hat wiederholt erklärt, ihren bewaffneten Kampf auszusetzen. Wir haben derzeit wenig Zweifel daran, daß sie bei dieser Linie bleiben wird.

Wenn dem so ist, warum werden dann die Bemühungen ihres Amtes eingestellt, RAF-Mitgliedern über das sogenannte Aussteigerprogramm einen Rückweg in die Gesellschaft zu ermöglichen?

Wer sagt Ihnen denn, daß die Bemühungen unserer Behörde eingestellt werden? Wir werden weiterhin alle Maßnahmen ergreifen, die zu einer Eindämmung des Terrorismus führen können.

Konkret: Wenn in einem halben oder in einem Jahr eine Person oder Personen aus der RAF sich melden und sich stellen wollen, wie würde Ihre Behörde reagieren?

Wir würden versuchen, Kontakt aufzunehmen, und anbieten, aufzuklären, welche Vorwürfe seitens der Strafverfolgungsbehörden gegen sie erhoben werden. Dies würde in Absprache mit der Bundesanwaltschaft erfolgen. Wir würden versuchen, die Darstellung der Gesuchten zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen nachzuvollziehen. Ein Handel über Strafmaß oder ähnliches kann es allerdings keinesfalls geben.

Wie sicher sind Sie denn, daß die auf den Fahndungsplakaten abgebildeten Personen RAF-Mitglieder waren oder sind?

Wenn unter den Abgebildeten Personen sind, die nicht auf das Fahndungsplakat gehören, dann kann ich mir vorstellen, daß sie sich eines Tages an uns wenden werden. Interview: Wolfgang Gast