Zündstoff zum 40. Geburtstag der EU

Die EU-Außenminister versuchen den britischen Widerstand gegen EU-Reformen zu brechen. „Flexibilitätsklausel“ soll unterschiedliche Formen der Kooperation ermöglichen  ■ Aus Brüssel Alois Berger

Die Diskussion um die Reform der Europäischen Union hat gestern neuen Zündstoff bekommen. Wenige Stunden bevor in Rom zum 40jährigen Jubiläum der Römischen Gründungsverträge der Europäischen Gemeinschaft die Champagnerflaschen entkorkt wurden, legten die Außenminister der Niederlande, Deutschlands und Frankreichs Vorschläge zur fundamentalen Neugestaltung der EU vor. Sie sollen der bis Mitte Juni laufenden Regierungskonferenz der EU-Staaten, an deren Ende der Maastricht-II-Vertrag stehen wird, neue Impulse geben.

Die Vorschläge laufen auf ein Kerneuropa mit verstärkter Polizei- und Justizzusammenarbeit sowie einer eigenen Verteidigungspolitik hinaus. Sie werden auch von Belgien, Spanien, Luxemburg und Italien mitgetragen. Mit der sogenannten Flexibilitätsklausel glauben die Außenminister die Widerstände aus Dänemark und vor allem aus Großbritannien umlaufen zu können. Demnach soll es einer größeren Zahl von Ländern möglich sein, sich innerhalb der EU auf eine engere Zusammenarbeit zu einigen. Staaten, die nicht mitmachen wollen, müssen sich nicht beteiligen, können die Kernstaaten aber auch nicht daran hindern.

Bisher sträubt sich die Regierung in London noch, dieser Klausel zuzustimmen, aber der Druck wird stärker. In einem mit Deutschland und Frankreich abgestimmten Manöver präsentierten die Niederlande einen Vertragsentwurf, der als erste „verstärkte Zusammenarbeit“ die Eingliederung des Schengener Abkommens in die EU vorsieht. In diesem Abkommen haben sich bisher zehn EU-Staaten verpflichtet, die Grenzen abzuschaffen, das Asylrecht zu harmonisieren und die Zusammenarbeit der Polizei auszubauen.

Weil Großbritannien und Irland an ihren Grenzkontrollen festhalten wollen, wurde Schengen außerhalb der EU abgeschlossen. Weder das Europäische Parlament noch der Europäische Gerichtshof haben deshalb darauf Einfluß. Die Mehrheit der EU-Regierungen möchte das Schengener Abkommen nun zum Grundstein für die gemeinsame Innen- und Justizpolitik in der EU machen. Großbritannien könne seine Grenzkontrollen behalten, lockte ein holländischer Diplomat, „London muß nur der Flexibilitätsklausel zustimmen“.

Fast gleichzeitig mit dem niederländischen Vorschlag legten Deutschland und Frankreich einen weiteren Fall für die Flexibilitätsklausel vor. Sie wollen die Westeuropäische Union, das Verteidigungsbündnis der europäischen Nato-Staaten, schrittweise unter das Dach der EU bringen. Die WEU ist ein Beistandspakt ohne eigene militärische Struktur, soll aber nach jüngsten Nato-Beschlüssen in den nächsten Jahren in die Lage versetzt werden, auf Nato- Truppen zurückzugreifen. Durch die Eingliederung der WEU würde zur eher mageren Außenpolitik der EU die Kompetenz für friedenserhaltende und friedensschaffende Militäreinsätze dazukommen.

Nicht nur Großbritannien und Dänemark, auch die bisher neutralen EU-Staaten Österreich, Finnland und Schweden haben damit ihre Schwierigkeiten. Sie sind nicht in der Nato und fürchten, mit der WEU durch die Hintertür in die Allianz gezerrt zu werden. Die Flexibilitätsklausel würde ihnen zwar erlauben, sich grundsätzlich bei allen militärischen Fragen herauszuhalten. Doch gerade Länder wie Österreich möchten sich wenige Jahre nach ihrem Beitritt zur EU nicht wieder zum Teilmitglied abgestuft sehen.

Drei Monate vor dem Abschluß der Regierungskonferenz, mit der die EU für die Osterweiterung fit gemacht werden soll, ist unklarer als je zuvor, ob den EU-Regierungen der große Wurf noch gelingt. Die beiden neuen Vorschläge werden die Diskussion in den nächsten Monaten bestimmen. Doch die zentrale Frage bleibt, ob die britische Regierung nach den Parlamentswahlen am 2. Mai ihren Kurs fortführt, jede EU-Reform notfalls mit einem Veto zu verhindern.