Pampiges Fluchen verboten

■ Telefonjobs als Chance für Arbeitslose: Doch wer „Telephone Sales Agent“im „Call Center“werden will, muß stets freundlich sein und einen „gebenden“Charakter haben

Daß ein „tatteriger Opa“aus Kanada acht Stunden lang bei seinem Flug nach Deutschland warten muß, gefällt Nina gar nicht. „Deutsche British Airways. Mein Name ist Nina ... Wie kann ich Ihnen helfen“, hat sie ihn freundlich gefragt – und Opas Hilfsbedürftigkeit „schon an der zittrigen Stimme am Telefon“erkannt. Zwei Minuten später hat ihr Computer eine bessere Verbindung ausgespuckt – und Nina schreibt rasch ein „nettes Fax. Weil er mir so leid getan hat“. Dieser Service ist für Ninas Chefin „normaler Alltag“. Wer wie Nina als „Telephone Sales Agent“bei der Fly Line arbeitet, ist selbstverständlich „hundertmal am Tag freundlich und aufmerksam“, sagt Fly Line-Chefin Monika Schade.

Telefonagenten müssen bei der Fly Line, die für die British Airways und ihre Tochterunternehmen Kunden telefonisch betreut, eine „gebende Persönlichkeit“haben. Wer im „Call Center“der Fly Line in der Sonneberger Straße anruft, wird von 75 Telefon-Agenten niemals pampig behandelt, sondern freundlich beraten. Diesen Telefonservice bieten in Bremen immer mehr Firmen an: Bei Fly Line, Eduscho, Stadtwerken, Otto Versand und City Bank sind 700 Telefon-Arbeitsplätze entstanden. Die Wirtschaftsförderungsgesellschaft (WfG) will Bremen bis zum Jahr 2000 zur „Call Center City“machen – und für die 38.000 Bremer Arbeitslosen in den nächsten Jahren 5.000 neue Arbeitsplätze schaffen. Das Lockargument für die Firmen: niedrige Löhne und Mieten, viele willige Arbeitskräfte.

„Besitzen Sie Servicementalität?“, fragt deshalb eine Stellwand im Foyer des Bremer Arbeitsamtes mit dem Titel: „Call Center – Ihre neue Chance. Informieren Sie sich bei uns“. Denn die steht für Fly Line-Chefin Monika Schade über allem. „Formalqualifikation ist nicht so wichtig. Dienen zu wollen, ist keine Frage der Ausbildung, sondern eine Frage der Einstellung“, ist sich die 56jährige Schade sicher. Die 25 vom Arbeitsamt vermittelten Arbeitslosen, die jetzt bei ihr arbeiten, „haben bei uns ihre faire Chance bekommen.“Was sie meint, ist das harte Bewerbungsverfahren. Englisch- sowie Konzentrations- und Computertests stehen auf dem Programm: Wer bei diesem Streß auch im abschließenden persönlichen Gespräch noch lächelt, könnte Chancen haben.

Der 40jährige Jürgen Hölscher hat es – neben ehemaligen Hausfrauen, arbeitslosen Lehrern, Physikern oder Leuten aus der Gastronomie geschafft: Seit sieben Monaten darf der berufsunfähige Bundeswehrpilot bei der Fly Line arbeiten. Schicht- und Wochenendarbeit sowie die nicht gerade üppige Bezahlung (bis zu 3.000 Mark im Monat) nimmt er in Kauf, „weil jeder Tag hier anders sein kann.“

Eine digitale Anzeigentafel, die in jedem Call-Bereich mit jeweils 20 Agenten hängt, diktiert den Takt seiner Arbeit. Um 15.30 Uhr haben bereits 2500 Kunden angerufen. Die Agenten arbeiten immer in Teams mit je sechs Leuten und helfen sich gegenseitig. Immer wieder schauen sie auf die Tafel: Nur noch zwei Agenten sind „available“, die Headphones klingeln heiß. „Wir haben gedacht, der Job schreckt viele ab. Aber von zehn Interessenten pro Tag bleiben fünf bei der Stange“, sagt Susanne Schäfer vom Arbeitsamt, die jetzt eifrig BewerberInnen sammelt. Langzeitarbeitslose können sogar einen zweimonatigen Qualifizierungskurs für den Call-Center-Job machen. Das Arbeitsamt bietet Einarbeitungszuschüsse an. Zwei Monate läßt Fly Line-Chefin Monika Schade ihre neuen MitarbeiterInnen „on the job“trainieren. Wer sechs Monate dabei ist, kann auf Teilzeit umsteigen. Oder in ferner Zukunft von zu Hause aus Telefon-Agent sein.

„Das ist unsere Chance für Bremen. Wahrscheinlich die einzige“, resümiert Projektleiter Wilfried Lüschen vom Arbeitsamt. „Alle können zu uns kommen“, lockt auch seine Projektmitarbeiterin Susanne Schäfer Interessenten an. Denn im Juni stehen zwei neue Firmenansiedlungen in Bremen an: Mit 1.000 Call Center-Jobs.

Um vier Uhr nachmittags nimmt Agent Jürgen Hölscher wieder einen Anruf entgegen. Ist es ein englischsprechender Inder? „Die sind besonders schwierig“, sagt er. „Wenn Sie mich nicht verstehen, pusten Sie sich doch die Ohren durch“, hat mal ein Fly Line-Agent am Telefon gewütet und die Nerven verloren. Das passiert ihm nur einmal: Wer sich sich solch einen Ausbruch ein zweites Mal leistet, wird entlassen. Katja Ubben