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Toxische Traumkost

■ Cora Frost brilliert mit ihrem neuem Programm „Fugu“im Jungen Theater

Sie sitzt auf dem Klavier und beäugt ihre roten Schuhe, als könnte sie auf den Absätzen ihren Text finden. Doch der kommt von woanders, rumort flatternd hinter der gepflasterten Stirn. Cora Frost hat immer ein Hansaplast über dem linken Auge – zum Trost vielleicht oder als Verschluß, damit keine dieser prallen, bizarren Geschichten entfleuchen kann?

Viele Menschen wollen sie hören. Ausverkauft war das Junge Theater am Dienstag bei der Uraufführung von „Fugu – kann man an der Liebe sterben?“Das neue Programm von Cora Frost, der frischgekürten Trägerin des Deutschen Kleinkunstpreises (dabei haßt sie „Kleinkunst“), ist giftig wie der japanische Kugelfisch, giftig wie der Stachel der Liebe: Deren Verzehr führt nach falscher Zubereitung unmittelbar zum Tod. Tod und Liebe, Liebe und Tod, zwischen diesen beiden ist das Seil gespannt, auf dem Cora Frost ihren Danse macabre wagt.

Der Abgrund ist bodenlos. Gemeinheiten lauern überall. Jeder kennt sie, doch niemand traut sich, sie auszusprechen: Da landet man zum Beispiel auf dem Bahnhof von Hannover und stellt erschrocken fest, „was für einer häßlichen Rasse man angehört“. Dieses Gefühl ist niemandem fremd, der je dort war.

Fremd dagegen sind die Geschichten, die Cora Frost am Rande des gebrochenen Bahndammes auftut: Wenn der Zug in Gaggenau hält, jenem kleinen Ort bei München, lockt dich die moderne Erin-ye mit Gesang und wohlfeilen Worten ins Dorfhotel. Hinein ins stiefmütterliche, kleine Zimmer mit Knick im Kissen und ohne Zimmerbar. Wo dich Gaggenau anglotzt und die Flucht ins Fernsehprogramm genauso gaga ist.

Cora Frost nimmt sie alle mit, wohin auch immer sie geht: in die finstersten Winkel der Begierden, des Alltags, des Verschwiegenen und der Geschwätzigkeit. Die gebirgsfeste Ex-Münchnerin führt durch Alptraumtäler und über Grate der Hoffnung, selbst schwindelfrei und leichtfüßig. Scheinbar unbekümmert legt sie den Finger an die Stellen, wo entzündete Hoffnung ihre Wunden hinterließ.

Cora Frost salbt diese mit wunderschönen Arien oder scharf-humorigem Trotz. Gerade hat sie in einem Stück ihre Beine an die verstorbene Liebe im Grabe weitergeliehen, da stampft sie, „Bella Bim-bam“, ein bajuwarisch-spanisches Ehedrama, das überführt zu einer wunderschönen Ode an den „One-hour-stand“. Länger dauert die Reise einer Frau, die alkoholisiert am Frikassé mit Blattsalat ertrinkt. Sie stürzt das ganze besoffene Betonleben herab, um am anderen Ende der Welt im satten Palmgrün von „Kawaii“wieder aufzutauchen und sich beim Hulahula wiegend zu verlieben.

Skurrile Geschichten, so phantastisch erzählt und gesungen, daß sie in den Bann ziehen – in den Sumpf ihrer Subtexte, wo die Töne eigener Assoziationen nachklingen, die bewußt angeschlagen wurden. Cora Frost lächelt dazu. Manchmal nicht mal das. Mit der Nüchternheit einer pietistischen Biologielehrerin seziert sie ihren Fugu und gibt die nicht immer ganz sauberen Stücke zur Verinnerlichung frei. Damit knüpft sie an die Tradition ihrer früheren Programme an: Ob „Starimbiß“oder „So blau“– immer geht es um das Verzehren, an dem alle Sinne beteiligt sind. Wie kaum eine andere versteht es Cora Frost, diesen Sinnen mit einer sparsamen Körpersprache und kunstvollster Wortarbeit beizukommen, die es wert wäre, auch in Buchform veröffentlich zu werden.

Daß sie in Gert Thumser, dem schwergewichtigen Pianisten und Komponisten, einen idealen Partner gefunden hat, merken auch die Neulinge im Publikum schnell. „Er komponiert wie eine hawaiianische Prinzessin“, sagt Cora in ehrlicher Bewunderung. Mit Hans Jehle (Geige) und dem Bremer Jan Fritsch (Saxophon) hat sie zwei weitere Engel an ihrer Seite. Derartig beflügelt kann kein Abgrund mehr scheuen, möchte man meinen. Doch das trügt.

Dora Hartmann

Bis 30. März täglich um 20.30 Uhr im Jungen Theater

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