Theaterdämmerung

■ 1998 wird die Förderung für freie Theatergruppen neu strukturiert. Schon in diesem Jahr gingen die meisten leer aus

„Auch schlechte Kultur muß eine Chance haben zu sterben.“ Das Wort des Sprechers des Beirats für Freie Gruppen der Darstellenden Kunst, Hartmut Krug, ist unmißverständlich. Noch bis 1998 gelten die auf drei Jahre festgelegten Optionsförderungen für insgesamt 21 freie Theater der Stadt. Danach soll eine neue Förderstruktur wirksam werden.

Wie sie aussehen wird, das weiß auch der siebenköpfige Beirat noch nicht. Nur, daß im Sommer die Parlamentsdebatte zu diesem Thema eröffnet werden soll. Sicher ist auch: Es werden nicht alle freien Gruppen und Projekte überleben können.

Um die 400 sollen es ungefähr in der Stadt sein, so viele wie in keiner anderen deutschen Stadt. Rund 80 davon, so schätzt Ilka Seifert von der Interessengemeinschaft Geprüfte Theater Berlin, arbeiten kontinuierlich und professionell. Zu der Interessengemeinschaft haben sich all jene zusammengeschlossen, die diesen Kriterien genügen; alle Mitglieder – außer dem Freien Schauspiel – bekommen Optionsförderung; andere erhalten Spielstättenförderung (zum Beispiel die Tanzfabrik, das Theater Zerbrochene Fenster), wieder andere die dreijährige Optionsförderung (u.a. das Theater Affekt, die Neuköllner Oper und das Tanztheater Rubato).

248 haben sich für 1997 mit einzelnen Projekten um eine Förderung beworben, 23 von ihnen dürfen sich nun 1,14 Millionen Mark teilen. Für den Beirat besonders vielversprechend und jeweils 80.000 Mark Zuschuß wert sind ein Tanztheaterprojekt von Mechthild Erpenbeck sowie Produktionen von Jo Fabian, Isabella Mamatis sowie der Gruppe Lubricat.

Die große Mehrheit jedoch ging leer aus. Auch solche, die bislang jährlich gleich mehrere Stücke gefördert bekamen und nur so den Betrieb einer eigenen Spielstätte überhaupt gewährleisten konnten: zum Beispiel das Freie Schauspiel. Im Vorjahr noch mit 110.000 Mark bezuschußt, gibt es jetzt gar nichts mehr für die Gruppe.

Fatal für das Theater ist, daß die Entscheidung über den Etat 1997 – bedingt durch die vom Senat verordnete Haushaltssperre – erst jetzt gefällt wurde. Im Freien Schauspiel hatte man mit der Förderung in den vergangenen drei Monaten fest gerechnet und mit den Vorbereitungen für die neuen Produktionen begonnen. Markus Mayhofer und seine MitstreiterInnen sehen sich ins „Aus“ geschossen. Mit neuen Stücken von Autoren wie Helmut Krausser, Herbert Achternbusch bis zuletzt Woody Allen und mit Wiederentdeckungen und Bearbeitungen füllten sie in den vergangenen Jahren ihr kleines Haus. Was bleibt, ist ein Berg Schulden. „Ich unterwerfe mich ja gern den Kriterien des Beirats, wenn ich nur wüßte, welche es sind“, sagt Mayhofer in einer Mischung aus Verzweiflung und Sarkasmus.

„Man muß definieren, welche Art von Theater man fördern will“, erklärt Krug, aber so richtig gelang ihm dies bei der Verkündung der Beiratsentscheidung nicht, ebensowenig wie seinen KollegInnen. Auf alle Fälle neu soll es sein und innovativ.

Klar und deutlich ist jedoch die Absage an das Freie Schauspiel: Ästhetisch sei es längst nicht so ausgeprägt wie andere, das Profil unterscheide sich nicht von jenen staatlicher Kammerspiele. Erfolg beim Publikum allein läßt Krug nicht gelten. Den habe das Theater am Kurfürstendamm schließlich auch.

„Das Brutale an dieser Entscheidung gegen unser Haus ist“, so Mayhofer, „daß damit das einzige Sprechtheater in Neukölln, das sich in den vergangenen 15 Jahren zu einem festen Bestandteil der kulturellen Infrastruktur entwickelte, über Nacht gekippt wird.“ Ilka Seifert bezweifelt, daß sich in diesem Punkt das Gremium seiner kulturpolitischen Verantwortung wirklich bewußt ist. Das Berliner Fördermodell sei einfach provinziell und veraltet.

Da sind eigentlich alle einer Meinung. Wie es aber besser machen? Zebu Kluth, Leiter des Theaters am Halleschen Ufer, der zentralen Spielstätte für freie Gruppen (und als solche mit 1,14 Millionen Mark gefördert), hält zumindest in einem Punkt die Entscheidung des Beirates für richtig und wichtig: nämlich ein Zeichen dahin gehend zu setzen, „daß künftig nicht mehr alles an freier Szene zu halten sein wird“. Aussterben wird sie nicht, allenfalls sich neu formieren. Neu in die Stadt strömende Künstler werden alteingesessene Projekte ersetzen. Am fehlenden Geld werde diese Szene nicht zugrunde gehen: „Freies Theater hat immer schon auf der Basis der Selbstausbeutung funktioniert.“

Kluth, der als Mitglied der Initiative Fördermodell 99 mit dieser gemeinsam nach neuen Wegen der Förderung sucht, sieht eine wirkliche Chance nur, wenn sich bald Privat- wie Offtheater gleichermaßen um eine institutionalisierte Förderung bewerben und einer regelmäßigen Überprüfung standhalten müssen. Nur so könne auch die Menge der frei zu verteilenden Mittel wieder größer werden. „Für das bißchen Geld, das momentan zur Verfügung steht, braucht man kein neues Fördermodell.“ Und noch einen weiteren positiven Effekt sieht Zebu Kluth in dieser Generalüberholung der freien Szene: Einige der alteingesessenen Gruppen, „die längst ihren künstlerischen Zenit überschritten haben, dümpeln vor sich hin und existieren nur noch, weil die regelmäßige Förderung existiert“.

Allen Sparmaßnahmen zum Trotz: Die Sophiensäle, zu deren Förderung der Beirat kein Geld mehr hatte, kommen jetzt erstmals in den Genuß einer Spielstättenförderung. Kultursenator Peter Radunski hatte über „Umschichtungen“ 50.000 Mark Spielstättenförderung lockergemacht, die als Anschubfinanzierung des neuen Spielortes genutzt werden sollen. Axel Schock