■ Schnittplatz
: Megaperls vs. Vergessen

Freitag abend, 20.15 Uhr, auf der Couch. Pro7 zeigt „Schindlers Liste“. Eben noch springt im jüdischen Ghetto von Krakau ein Junge aus Furcht vor den Nazis in ein Plumpsklo. Unterbrechung: blütenweiße Wäsche dank Persil-Mega-Perls, Corega Tabs für die dritten Zähne, und Manne Krug greift zur Schultheiss-Flasche. So funktioniert Privatfernsehen: Werbehäppchen durchbrechen den Ablauf der Filme, egal, welches Thema verhandelt wird. Die Zuckerstücke zur Stimulation der Kauflust muß der Zuschauer schlucken. Hochtönend ließ sich Pro7 den Verzicht auf die üblichen Werbeunterbrechungen dieses Films von der Supermarktkette Rewe sponsern. Unterbricht ihn lediglich mit Kurznachrichten – diese allerdings sehr wohl flankiert von zwei Werbeblöcken. Genauso viele hatte Steven Spielberg auch erlaubt.

Und das ist richtig so. Die Erinnerung an das elende Leben der Juden in Polen muß wachgehalten werden. Millionen sollten den ergreifenden Film sehen. Das Fernsehen ist das passende Medium, auch um den Preis von Werbung. Alle sollen über den Holocaust reden – auch jene, die nicht zu intellektuellen Zirkeln zählen. „Schindlers Liste“ ist für das Durchschnittspublikum gemacht.

Samstag morgen wird man dann vielleicht nicht nur darüber sprechen, daß der Textilfabrikant Schindler versuchte, seine Näherinnen vor den Gaskammern zu retten, und der Lagerkommandant frühmorgens Häftlinge zum Spaß erschoß. Es wird auch darüber geredet werden, wie Werbung in solchen Filmen wirkt. Kritiker behaupten, sie würde wie Wellenbrecher den emotionalen Spannungsbogen des Films durchschlagen. Mitnichten. Corega-Tabs-Reklame nach den Bergen von Zahngold: Wohl kaum ein Zuschauer wird den Kontrast zwischen Vernichtung und heutigem Schönheitsideal aushalten. Die Reinwaschversprechungen von Persil-Mega-Perls werden die Gefühle angesichts der Berge von Kleidern jüdischer Frauen verstärken. Die fiktive Wirklichkeit, in die uns „Schindlers Liste“ führt, verdichtet sich durch die Versprechungen der Reklame. Aus beidem zusammen wird sich quasi eine dritte Ebene der Wahrnehmung destillieren, die das Widerwärtige der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie noch deutlicher hervortreten läßt.

Freitag abend bei Pro7: Chips, Wein, „Schindlers Liste“ und Reklame. Reichlich Stoff, aus dem Vergangenheit hochkommt. Manch einer wird sich über der Kloschüssel erleichtern müssen. Annette Rogalla