„Ich bin die Wiederauferstehung“

■ Blut trinken, Dante zitieren und katholisch sein: Abel Ferraras „The Addiction“

Wenn es Vampire tatsächlich geben sollte, kann man nur hoffen, daß sie nicht allzuhäufig ins Kino gehen. Dort müssen sie sich entweder ansehen, wie sie durch den Kakao gezogen werden, oder als Metapher für diverse Weltübel herhalten.

Auch in Abel Ferraras „The Addiction“ werden angeblich Bißwunden fremder Menschen gesammelt und dabei doch vor allem Probleme von faustschen Ausmaßen behandelt. Da trifft es sich gut, daß die von Lili Taylor gespielte Vampirin Kathy Philosophiestudentin ist. Mit Heidegger, Dante, Kierkegaard, Nietzsche und was die Fakultät sonst noch so im Bauchladen hat versucht sie zu klären, warum trotz aller Ethik immer noch der Mensch des Menschen Wolf ist. Bilder aus Konzentrationslagern, Vietnam und Bosnien flimmern allezeit als Hintergrundfolie, während Kathy sich ihr erstes Blut mit einer Drogenspritze setzt. Und die Handkamera wackelt vorbei an dealenden Schwarzen, während die schleifenden Beats von Cypress Hill erklingen: „I wanna get high.“

Es wird ziemlich viel vermischt und eben nicht verkoppelt in diesem Film, der im Wettbewerb der Berlinale 1995 eins der größeren Ärgernisse abgab und erst jetzt in die Kinos kommt. Im Off bellt Hitler, und Kathy steht großformatig der Schweiß auf der Stirn, was wohl heißen soll, daß die Sache mit den Nazis ganz schön ambivalent war, so grauselig, aber andererseits auch ganz schön faszinierend. Philipp Jenninger könnte Kathy und Ferrara wohl gut verstehen.

„Abhängigkeit ist eine wunderbare Sache“, sagt Kathy und stolziert als schwarzgewandeter Racheengel auf der Suche nach dem nächsten Bekehrungskandidaten durch die düsteren Gänge der Unibibliothek, wo das unnütze Wissen der Menschheit gespeichert wird. Zum allerersten Opfer für ihren Initiationsritus erwählt sie sich natürlich ihren Philosophieprofessor. Sex, Mord, Sucht, ja auch die Philosophie, jeder hat seinen eigenen Vampirismus laufen, erzählt uns Ferrara in schmucken Schwarzweißbildern. Fehlt nur noch, daß er das von den Lippen tropfende Blut nachträglich rot eingefärbt hätte.

„Ich verrotte innerlich, aber ich lebe noch“, muß Kathy eines Tages feststellen, woraufhin ihr Christopher Walken, so eine Art Edelvampir mit Lizenz zum Klugscheißen, Burroughs „Naked Lunch“ in die Hand drückt.

Aber schlußendlich ziehen all die Philosophen, Drogentheoretiker, all die Gedanken, die sich Menschen die Jahrhunderte hindurch so gemacht haben, natürlich den kürzeren gegen IHN. Ein schlichtes Amen ist die Erlösung nach dem Blutrausch, auf ihrem Grabstein steht „Ich bin die Wiederauferstehung“, während Kathy in Weiß gewandet und selig lächelnd von dannen schreitet. Und wer es immer noch nicht verstanden hat: Das letzte Bild ist ein Kreuz.

Daß Ferrara hier wieder mal verarbeitet, daß er in seiner katholischen Kindheit zuviel Weihwässerchen hat trinken müssen, etwas, was einem selbst „Bad Lieutenant“ fast noch versaut hätte, war keine Überraschung. Aber richtig übel nehmen muß man ihm, daß er auch noch die wundervolle Lili Taylor dazu so angestrengt chargieren läßt. In Ferraras kommendem Film „The Blackout“ darf dann Claudia Schiffer dagegenhalten. Thomas Winkler

„The Addiction“. Regie: Abel Ferrara. Kamera: Nicholas St. John. Mit Lili Taylor, Christopher Walken, Annabella Sciorra u.a. USA 1994