Die Wachsamen von Bovenau

Ein Dorf am Nord-Ostsee-Kanal will nicht zur Deponie für Elbschlick verkommen. Jahrelanger Widerstand brachte den Erfolg: Hamburg hat eine Alternative gesucht und gefunden  ■ Von Heike Haarhoff

er „Alte Krug“ist randvoll. 600 aufgebrachte Menschen hocken dicht gedrängt in der einzigen Kneipe am Ort. Rauch, Unsicherheit, Bierdunst, Zukunftsangst. Und vor allem ganz viel Wut. Darüber, daß hier in Bovenau, wenige Kilometer vom „Alten Krug“entfernt, auf einem Acker am Nord-Ostsee-Kanal die größte Hügeldeponie für giftigen Schlick aus dem Hamburger Hafen entstehen soll. Die einzige in Schleswig-Holstein.

Das Stimmengewirr nimmt unerträgliche Lautstärken an. Fäuste recken sich gegen den Fernsehbildschirm im Raum. Berndt Heydemann, sozialdemokratischer Umweltminister aus Kiel, verteidigt seine jüngste Standortentscheidung. Ganz vorn in der Gastwirtschaft versucht ein Mann mit unendlicher Ruhe, die Diskussion wieder darauf zu lenken, „was jetzt passieren muß“. Es ist Jürgen Liebsch, 35 Jahre, Sprecher der Bürgerinitiative Bovenau. Es ist der 20. Februar 1992.

in Dutzend Aktenordner sprengen das Wandregal im Gemeinderats-Büro. „Hafenschlick I, Hafenschlick II...“Boden- und Gewässergutachten, Schriftwechsel mit den Ministerien Schleswig-Holsteins, Hamburgs und Niedersachsens, Flugblätter, vergilbte Zeitungsausschnitte. „Hier“, ein Lächeln huscht über das Männergesicht, „haben wir eine Fähre besetzt“. Und dann, „o ja, das sind wir auf unserem Protestmarsch in Kiel“. Schließlich ein Foto mit vielen Treckern, die den „Damen und Herren aus Kiel den Weg versperrten“. Erinnerungen an den Sommer 1995, „unsere letzte große Aktion“, sagt Jürgen Liebsch. Er ist jetzt Bürgermeister des 920-Seelen-Kaffs Bovenau im Kreis Rendsburg-Eckernförde.

Und natürlich immer noch Sprecher der BI. Aber: „Der große Widerstand“, der Blick streift den Gorleben-Soli-Kalender '97 an der Wand, „ist in Bovenau vorbei“; auch den „Alten Krug“gibt es nicht mehr. Die Podiumsdiskussion wird deshalb heute abend im neuen Bürgerzentrum „Uns Huus“stattfinden, der grüne Umweltminister Rainder Steenblock hat seine „Freude über die Einladung“und sein persönliches Erscheinen schon vor Wochen zugesichert, „und wahrscheinlich“, denkt Liebsch nachmittags, „kommt mehr Presse als Zuschauer“.

Die Schlickdeponie in Bovenau jedenfalls, das gilt als sicher, kommt nicht mehr. Bergversatz in Salzkavernen statt Landdeponierung lautet das Entsorgungsschicksal, das dem Schlick neuerdings verheißen wird. Es ist der 26. März 1997. arbara Wiegelmann blickt über das Land, ihr Land, und schüttelt den Kopf. „Wir hätten sowieso nicht verkauft.“Es ging um 100 von insgesamt 400 Hektar Acker des Guts Osterade, das sie und ihr Mann verwalten. Mit Schuten über den Nord-Ostsee-Kanal, später mit dem Lkw, sollte der dioxin-, furan- und schwermetallbelastete Schlick aus Hamburg hierher transportiert werden.

300.000 Tonnen jährlich und über einen Zeitraum von zehn Jahren. Das sah das Abkommen zwischen Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein von 1984 vor: Jedes der drei vom Hamburger Hafen profitierenden Bundesländer verpflichtete sich, Flächen zur Unterbringung für je ein Drittel des anfallenden Baggerguts bereitzuhalten. Kiel verpflichtete Bovenau. „Für uns wäre diese Zerstückelung der Ruin gewesen“, glaubt Barbara Wiegelmann. Wer will schon deponienahes Getreide? Von den realen Gefahren wie Verwehung des Gifts oder Verseuchung des Grundwassers ganz zu schweigen.

 ehntausende Unterschriften, Petitionen, Demos, jahrelange Alternativen-Suche und zähe Verhandlungen: Vor Monaten dann ist Hamburg der Empfehlung des niedersächsischen Elbschlickfo-rums gefolgt, den Schiet lieber in Salzkavernen der Chlorfirma Dow Chemical in Stade zu vergraben. „Charme“habe „diese Unterbringung 10.000 Meter unter der Erde“, und erste Vorverträge seien bereits unterzeichnet, „nur über den angemessenen Preis wird noch verhandelt“, gibt Ulrich Hensen, Leiter des Amts für Strom- und Hafenbau in Hamburg, an diesem Abend des 26. März vor immerhin 100 Versammelten und laufenden Fernsehkameras zu Protokoll.

Die Transparente an der Wand beginnen, sich zu lösen. „Elbe sanieren statt deponieren“– das alte Bettlaken sinkt raschelnd zu Boden; „Keinen Hamburger Hafen-Gift-Schlick nach Bovenau“folgt.

Das Publikum will mehr. Will wissen, warum, „wenn es doch die Dow-Lösung gibt“, das Planfeststellungsverfahren für Bovenau nicht endlich offiziell beendet wird. „Eine Deponie steht nicht mehr zur Debatte“, verspricht Umweltminister Rainder Steenblock, weder für Schlick noch für Siedlungsabfälle. Der Saal klatscht, als gelte es, die Erinnerungen an zahlreiche vergangene politische Wortbrüche zu verscheuchen. Nur „den Zeitpunkt des Ausstiegs“will der Minister „nicht im Alleingang“, sondern in jedem Fall zusammen mit Hamburg verkünden, und zwar dann, wenn die Verträge mit Dow hieb- und stichfest sind.

Man läßt sich ausreden, man ist ja zufrieden. Die Disziplin hat Bovenau wieder. Und das gute Gewissen auch. Hat nicht Professor Hartwig Donner vom niedersächsischen Elbschlickforum gerade gesagt, die Salzkavernen-Lösung sei „durchaus umweltverträglich“? Warum also noch die Bedenken und warum ausgerechnet durch den Amtsmenschen Ulrich Hensen, der warnt, daß Salzstöcke auch einkrachen könnten. Der sagt, daß Schlick je zur Hälfte aus festen Stoffen und Süßwasser besteht, und daß letzteres die Salzkavernen ausweitet. Der die Risiken „unter Tage“nicht abzuschätzen vermag. iele hier können das Thema nicht mehr hören.“Auch Bürgermeister Jürgen Liebsch plagen immer häufiger andere Sorgen: die 18 Prozent Arbeitslosen im Landkreis, die brachliegenden Ackerflächen, die er gern als Gewerbegebiete ausweisen würde und nicht darf, die zunehmende Jugendkriminalität und das fehlende Geld für einen Jugendpfleger, der Mangel an betreutem Wohnen für Senioren.

m Saal werden derweil mögliche Termine für die Feierlichkeiten zur bevorstehenden „Beerdigung der Hügel-Deponie“überdacht. Minister Steenblock will auf der Party nicht fehlen, lobt die „Kompetenz und Klugheit der BI, die Politik und Verwaltung zu kontrollieren“. Auch Ulrich Hensen, froh, den Abend mit eifleckenfreiem Jackett überstanden zu haben, will „etwas gelernt haben“.

Die Bovenauerinnen und Bovenauer versichern, „stets wachsam“zu bleiben und „notfalls eben wieder auf die Straße“zu gehen. Davon, daß sich das Schlickproblem nachhaltiger durch – kostenintensive – Elbsanierung, weniger Schadstoffeinleitung, weniger Fahrrinnen-Vertiefung und weniger Uferbegradigung lösen ließe, ist keine Rede.

Jürgen Liebschs Stimme wird leise: „Bei einer globalen Betrachtung“, sinniert er, „verlieren wir.“