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Das Lächeln der Zwerge

■ Rainer Krauses „Sieben Zwerge“auf dem Ortsamt im Bremer Steintor / Ein grund- und endgültiger Essay

Da stehen sieben Gartenzwerge auf den Zinnen des Ortsamtes im Bremer Szene-Stadtteil Steintor. Bonbonbunt und leicht nach vorne geneigt, blicken sie über Straßen und Dächer hinweg und haben für staunende PassantInnen ein ewig-währendes und durch nichts zu erschütterndes Lächeln übrig. Und genau hinter diesem Lächeln verbirgt sich eine Flut von Geheimnissen, die der britische Laudator und Experte für zeitgenössische Kunst sowie für prähistorische Kulte, Barnaby Drabble, zu entdecken weiß.

Immer wenn zeitgenössische Kunst im öffentlichen Raum enthüllt wird, sind Gelächter, Protest, Diskussionen und Kopfschütteln zu erwarten. Genau dies sind die Reaktionen, die solche Arbeiten hervorrufen wollen. Denn mit den ersten Beschwerderufen und mit dem ersten Gelächter werden diese Installationen zum Erfolg.

Der Gartenzwerg, über den sowohl in Deutschland als auch in meiner Heimat Großbritannien gespottet wird, ist zum Synonym für den schlechten Geschmack, für kulturellen Aberwitz und Humorlosigkeit geworden. Sie haben keinen ästhetischen Wert, keinen Zweck und keinen Ausdruck – mit Ausnahme ihres ständigen, unerschütterlichen Grinsens. Der Zwerg ist ein Opfer! Aber das war nicht immer so. Seine Rolle als Kitschfigur ist eine Erscheinung der Gegenwart! Denn wir blicken auf einen weitreichenden sozialgeschichtlichen Prozeß zurück – ein Prozeß, in dessen Mittelpunkt der Gartenzwerg steht.

In kulturgeschichtlicher Hinsicht müssen wir feststellen, daß es Zeiten gab, in denen Zwerge mächtige, finstere und magische Figuren waren. Wie jeder Kult diente die Anwesenheit dieser „kleinen Leute“dazu, das Unerklärliche zu erklären. Zwerge hatten ihre wichtige Aufgabe – eine Aufgabe in jenen Epochen, in denen die Menschen noch Furcht und Respekt vor dem Übernatürlichen hatten.

Nach den Worten des Künstlers Rainer Krause haben auch diese sieben Zwerge auf den Dachzinnen des Ortsamtes „eine Aufgabe“. Ihre aktive Rolle besteht darin, eben nicht mehr so würdevoll auftreten zu können wie ihre Ahnen und ihren gegenwärtigen schmerzvollen Status als Comic-Figuren aushalten zu müssen.

Im Prozeß der Zivilisation sind die empirischen Wissenschaften in jene Bereiche des Unwissens vorgedrungen, wo Magie und übernatürliche Kräfte gedeihen konnten. Mit der sogenannten Aufklärung wurden Kulte für überflüssig erklärt und diskreditiert. Der Gartenzwerg muß deshalb als ein Symbol für den Rückzug von Mythen angesehen werden – als ein Beweis für die Bereitschaft des modernen Menschen, über seine eigene mythengläubige Vergangenheit zu lachen. Dieser Umstand macht uns deutlich, warum der Gartenzwerg noch immer lacht.

Der Mensch sehnt sich heute nach den alten Mythen, aber seine Rationalität hat ihn dazu gebracht, sich den unveränderlichen Härten der Wirklichkeit zu stellen. Plötzlich gibt es keine „kleinen Leute“mehr, die ihn für seine Verfehlungen rügen könnten.

Nur der Liebhaber des Gartenzwergs versucht, die Mysterien seiner vor-rationalen Vergangenheit in seinem jämmerlichen Kleingarten zu bewahren, aber dieser Versuch ist vergeblich, die großen Wälder Europas sind seit langem gefällt.

Wie seine Vorfahren hat der moderne Mensch viel von seiner Umwelt zu befürchten. Aber nachts und allein sieht er sich keinen mystischen Angreifern mehr gegenüber. Es gibt keine Hexen, bösen Geister oder Kobolde mehr, vor denen wir uns fürchten könnten. Wir fürchten einander. Doch nach wie vor suchen wir nach dem Unbekannten. Dieses Verlangen bringt uns dazu, den Himmel nach fremden Lichtern abzusuchen und die Hoffnung auf Besucher von anderen Planeten zu hegen.

Vor diesem Hintergrund wird das Lächeln der sieben Zwerge verständlich, die vom Dach des Ortsamtes über das Fiertl hinwegschauen. Sie lachen über unsere Voreingenommenheit und unser blindes Vertrauen auf die Gegenwart.

Es scheint jetzt klar zu sein, daß unsere Seelen heutzutage weg-erklärt werden können, und um das zu bekämpfen, müssen wir den Tatsachen unseres absurden Daseins ins Auge sehen. Das Kunstwerk von Rainer Krause ist ein Schritt in diese schmerzliche Entdeckungsreise vom Surrealen in eine tiefe Ernsthaftigkeit.

Barnaby Drabble (aus dem Englischen übertragen von ck)

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